Leitsatz
1. Hat die Finanzbehörde einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet, kann auch nach der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO ein Einspruch mit einfacher E-Mail eingelegt werden, ohne dass diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden muss.
2. § 87a Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO sind auf die Einlegung eines Einspruchs nicht anzuwenden.
Normenkette
§ 357 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, § 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO, § 126 BGB
Sachverhalt
Die Familienkasse hob die zugunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 17.1.2013 auf, in dem ihre E-Mail-Adresse angegeben war. Gegen den Aufhebungsbescheid erhob die Klägerin mit einfacher E-Mail vom 23.1.2013 Einspruch, der am 17.7.2013 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Nachdem der Berichterstatter des FG darauf hingewiesen hatte, dass für eine Einspruchseinlegung durch E-Mail nach § 87a Abs. 3 AO eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich sei, wurde die Klage als unbegründet abgewiesen, weil der angegriffene Bescheid mangels wirksamer Anfechtung Bestandskraft erlangt habe (Hessisches FG, Urteil vom 2.7.2014, 8 K 1658/13, Haufe-Index 7202859, EFG 2014, 1749).
Entscheidung
Da die Einspruchseinlegung durch einfache E-Mail wirksam war, hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies zurück, damit die anspruchserheblichen Feststellungen getroffen werden können.
Hinweis
1. Durch das E-Government-Gesetz vom 25.7.2013 wurden in dem die Form der Einspruchseinlegung betreffenden § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nach dem Wort "schriftlich" die Wörter "oder elektronisch" eingefügt. Nach gegenwärtiger Rechtslage steht daher außer Frage, dass die Einspruchseinlegung mittels elektronischer Form auch ohne eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) wirksam ist, soweit die Behörde einen entsprechenden Zugang eröffnet hat (z.B. Angabe der E-Mail-Adresse auf amtlichen Schreiben oder der Homepage).
2. Das vorliegende Urteil betrifft die Rechtslage bis zum 31.7.2013, nach der der Einspruch schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären war. Dabei genügte es, wenn aus dem Schriftstück hervorging, wer ihn eingelegt hatte (§ 357 Abs. 1 Satz 2 AO); eine Unterschrift war deshalb entbehrlich. § 126 Abs. 1 BGB, der bei einer gesetzlich vorgeschriebenen schriftlichen Form die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen erfordert, wurde vom BFH nicht angewandt. Nach Verwaltungsansicht genügte daher auch eine einfache E-Mail (AEAO zu § 357 Nr. 1). Das schützte jedoch – wie hier – nicht vor strengeren Anforderungen der Finanzgerichte.
3. Der BFH führt aus, dass in den Fällen, in denen das Gesetz Begriffe wie "Schriftstück" oder "schriftlich" verwendet, im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, ob die schriftliche Erklärung die mit einer Unterschrift zu bewirkende Abschluss-, Perpetuierungs-, Identitäts-, Echtheits-, Verifikations-, Beweis- und Warnfunktion erfüllen muss, und deshalb auch eine Unterschrift zu fordern ist. Ein solches Unterschriftserfordernis besteht im Falle der Einspruchseinlegung nicht.
4. Darin liegt kein Widerspruch zu § 87a Abs. 3 Satz 1 AO, der die Substitution der durch Gesetz angeordneten "Schriftform" durch die "elektronische Form" regelt und dafür die elektronische Signatur verlangt. Denn dies gilt nur, wenn das Gesetz für Anträge oder Erklärungen die Schriftform vorschreibt, nicht aber, wenn eine Erklärung zwar schriftlich erfolgen muss, d.h. in Text- oder Papierform, aber keine eigenhändige Unterschrift benötigt. Unter die Kategorie (bloße) Schriftlichkeit (statt gesetzlicher Schriftform) fällt eben auch § 357 AO, der bezweckt, nur geringe formale Anforderungen an die wirksame Einlegung eines Einspruchs zu stellen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.5.2015 – III R 26/14