Leitsatz
1. Die vorbehaltlose Festsetzung von Kindergeld und die Verfügung über die Nichtauszahlung sind eigenständige Verwaltungsakte. Richtet sich der Einspruch nur gegen die verweigerte Auszahlung, liegt hierin nicht zugleich ein Einspruch gegen die Festsetzung.
2. Die der Familienkasse eingeräumte Überprüfungsmöglichkeit im Einspruchsverfahren findet ihre Grenze in dem angefochtenen Verwaltungsakt als formellem Gegenstand des Einspruchs.
3. Der "Gesamtplan" des Kindes, sein Berufsziel erst durch eine weitere Ausbildung zu erreichen, ist nicht das allein maßgebliche Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
Normenkette
§ 118, § 218 Abs. 2, § 367 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO, §§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist der Vater des im Februar 1990 geborenen Sohnes M, der im Juni 2013 seine Ausbildung zum Bankkaufmann beendete und danach eine Vollerwerbsstelle in seinem Ausbildungsbetrieb antrat. Von Februar 2014 bis Juni 2016 absolvierte M einen berufsbegleitenden Studiengang zum Bankfachwirt/Bankkolleg.
Der Kläger beantragte im Dezember 2017 Kindergeld für Juli 2013 bis Februar 2015. Die Familienkasse setzte Kindergeld für April 2013 bis Februar 2015 fest, jedoch mit dem Hinweis, dass eine Nachzahlung wegen des nach dem 31.12.2017 eingegangenen Antrags gemäß § 66 Abs. 3 EStG ausgeschlossen sei.
Im Einspruchsverfahren ging die Familienkasse zwar von einem Zugang des Antrags im Dezember 2017 aus, verneinte aber den Kindergeldanspruch. In der Einspruchsentscheidung führte sie aus: "Mit der angefochtenen Entscheidung wurde das Kindergeld ... abgelehnt. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht vorliegen. Hiergegen richtet sich der Einspruch."
Die Klage hatte für den Zeitraum Februar 2014 bis Februar 2015 Erfolg. Für den übrigen Zeitraum wies das FG die Klage ab (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2019, 2 K 2059/18, Haufe-Index 14181137). Das FG vertrat die Ansicht – soweit die Klage erfolgreich war –, dass auch nach der neueren BFH-Rechtsprechung der Gesamtplan des Kindes, das Ende der Berufsausbildung erst durch den Abschluss "Bankfachwirt" zu erreichen, die quantitative Komponente (Vollzeiterwerbstätigkeit) überlagere.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück: Das FG hatte der Klage zwar mit fehlerhafter Begründung stattgegeben, aber im Ergebnis richtig entschieden, da die Festsetzung des Kindergeldes bestandskräftig geworden war, weil sich der Einspruch des Klägers lediglich gegen die Ablehnung der Nachzahlung richtete.
Hinweis
1. Der BFH hat durch Urteil vom 19.2.2020 (III R 66/18, BFH/NV 2020, 1139, BStBl II 2020, 704, BFH/PR 2020, 333) entschieden, dass die Ausschlussfrist des § 66 Abs. 3 EStG a.F. dem Festsetzungsverfahren zuzuordnen ist und nicht – wie die Finanzverwaltung meinte – dem Erhebungsverfahren.
Im Streitfall hatte die Familienkasse sich die Arbeit einer materiellen Prüfung des materiellen Kindergeldanspruchs erspart und den Antrag nicht wegen der neben dem zweiten Ausbildungsabschnitt ausgeübten Vollzeiterwerbstätigkeit abgelehnt, sondern Kindergeld vorbehaltlos festgesetzt und die Auszahlung abgelehnt, weil der Anspruchszeitraum mehr als sechs Monate vor Antragstellung endete.
2. Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, § 66 Abs. 3 EStG greife nicht ein, da der Kindergeldantrag der Familienkasse bereits am 29.12.2017 zugegangen sei; er bitte um Überweisung des festgesetzten Kindergeldes. Das richtete sich unzweifelhaft (nur) gegen die Nichtauszahlung (Erhebungsverfahren) und nicht auch gegen die davon zu unterscheidende Festsetzung; ein Einspruch gegen die Festsetzung wäre zudem mangels Beschwer unzulässig gewesen (§ 350 AO).
3. Im Einspruchsverfahren ist der Verwaltungsakt in vollem Umfang erneut zu überprüfen und kann nach einem Verböserungshinweis auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden (§ 367 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO). Das gilt aber nur für den angefochtenen Verwaltungsakt als dem formellen Gegenstand des Einspruchs. Nur der Vorgang, der Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts gewesen ist, kann auch Gegenstand der Einspruchsentscheidung sein. Richtet sich der Einspruch – wie hier – (nur) gegen die wegen § 66 Abs. 3 EStG verweigerte Nachzahlung, so darf die Einspruchsentscheidung nicht die Festsetzung aufgreifen. Eine vorbehaltlose rückwirkende Festsetzung wirkt konstitutiv und bindet die Familienkasse auch im Erhebungsverfahren.
4. Der BFH bestätigt, dass ein auf ein weiter gestecktes Berufsziel gerichteter "Gesamtplan" für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht genügt. Eine einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit ist von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse abzugrenzen (BFH, Urteil vom 19.2.2020, III R 2...