3.1 Sonderregelungen für Betreiber elektronischer Schnittstellen
Mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften sind bereits mit Wirkung ab 2019 neue umfassende umsatzsteuerliche Aufzeichnungspflichten sowie eine Umsatzsteuerhaftung für die Betreiber der sog. Online-Marktplätze eingeführt worden. Ab dem 1.7.2021 wurden die Vorschriften an die neu eingeführte Regelung angepasst, nach der die Betreiber elektronischer Schnittstellen im Rahmen von fiktiven Leistungsketten selbst zum Steuerschuldner werden können. Im Kern geht es um die Sicherstellung der deutschen Umsatzsteuereinnahmen für die auf den Marktplätzen registrierten Versandhändler (Fernverkäufer).
3.1.1 Wer ist betroffen?
Die Regelungen richten sich an die Betreiber elektronischer Schnittstellen, mit denen die Lieferung von Gegenständen unterstützt wird. Eine elektronische Schnittstelle ist gem. § 25e Abs. 5 UStG ein elektronischer Marktplatz, eine elektronische Plattform, ein elektronisches Portal o. ä.. Der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle muss die Lieferung unmittelbar oder mittelbar unterstützen, indem er die Möglichkeit für Leistungsempfänger und liefernde Unternehmer bietet, miteinander in Kontakt zu treten. Dabei muss er Bedingungen für die Lieferung festlegen, an der Authorisierung der Zahlungen für den Verkäufer oder an der Bestellung oder Lieferung der Gegenstände beteiligt sein. Die Regelungen machen keine Einschränkung auf die im Inland ansässigen Marktbetreiber. Betroffen sind alle Online-Marktplätze, auf denen Dritte in Deutschland steuerbare und steuerpflichtige Umsätze anbieten.
3.1.2 Lieferkettenfiktion bei B2C-Geschäften
Betreibern von elektronischen Schnittstellen wird zunehmend mehr umsatzsteuerliche Verantwortung übertragen. Dies zeigt sich besonders deutlich in Fällen des § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG, in denen mittels der elektronischen Schnittstelle B2C-Lieferungen von Drittlandsunternehmern unterstützt werden, die innerhalb des Gemeinschaftsgebiets durchgeführt werden. In diesen Fällen wird eine Lieferkette dergestalt fingiert, dass der Drittlandsunternehmer an den Schnittstellenbetreiber liefert und dieser wiederum eine Lieferung an den Kunden ausführt. Bei dem sich daraus ergebenden Reihengeschäft wird die Warenbewegung stets der fingierten Lieferung des Schnittstellenbetreibers zugeordnet. Diese Lieferung ist demnach in dem Mitgliedstaat steuerbar, in dem die Beförderung oder Versendung der Ware beginnt. Zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten kann der Schnittstellenbetreiber das OSS-Verfahren nutzen. Die an den Schnittstellenbetreiber erfolgte Lieferung ist im Gemeinschaftsgebiet nicht steuerbar oder wird von der Steuer befreit.
Dasselbe gilt gem. § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG in Fällen, in denen die Waren unmittelbar aus dem Drittland an einen nichtunternehmerischen Kunden oder an einen in § 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG genannten Empfänger im Gemeinschaftsgebiet versandt wird und die Ware einen Sachwert von max. 150 EUR hat. Allerdings ist die Lieferkettenfiktion nicht auf die Lieferung neuer Fahrzeuge und die Lieferung von Gegenständen anwendbar, die mit oder ohne probeweise Inbetriebnahme durch den Lieferer oder für desse Rechnung montiert oder installiert geliefert werden.
Geplante Ausweitung der Leistungskettenfiktion durch VAT in the Digital Age (ViDA)
Die Besteuerung der Plattformwirtschaft wird weiter ausgebaut. So liegt auf unionsrechtlicher Ebene im Rahmen der "VAT in the Digital Age" (ViDA)-Initiative ein Richtlinienentwurf vor, nach dem spätestens ab dem 1.1.2027 auch B2B-Umsätze von der Lieferkettenfiktion bei der Beteiligung von elektronischen Schnittstellen erfasst sein sollen.
Darüber hinaus soll spätestens ab dem 1.1.2030 eine weitere Leistungskette fingiert werden, wenn kurzzeitige Beherbergungsleistungen (max. 30 Nächte) oder Personenbeförderungsleistungen über elektronische Schnittstellen verkauft werden. Auch hier soll der Schnittstellenbetreiber selbst zum Steuerschuldner werden, wobei die Sonderregelung für Reiseleistungen ausdrücklich keine Anwendung finden wird.
3.1.3 Zusätzliche Aufzeichnungspflichten
Der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle hat gem. § 22f UStG zusätzliche Dokumentationspflichten zu erfüllen, wenn Dritte auf den von ihm bereitgestellten Marktplatz Lieferungen rechtlich begründen, bei denen die Beförderung oder Versendung im Inland beginnt oder endet.
Privatperson bestellt Waren über Handelsplattform bei chinesischem Lieferanten
Ein deutscher Kunde bestellt auf einem Online-Marktplatz Speicherchips, die ihm von einem in China ansässigen Lieferanten direkt zugesandt werden. Das Rechtsgeschäft wird direkt mit dem chinesischen Lieferanten abgeschlossen. Der Marktplatzbetreiber "ermöglicht" lediglich die Anbahnung, den Abschluss und ggf. die technische Abwicklung der Bezahlung des Kaufgeschäfts. Der Umsatz des chinesichen Lieferanten ist zwar wegen der Versendung...