Leitsatz
1. Die Versäumung der Antragsfrist nach § 96 Abs. 2 EnergieStV steht wegen des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dem in § 52 Abs. 1 EnergieStG normierten und auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. c EnergieStRL beruhenden Entlastungsanspruch für die für die Schifffahrt in Meeresgewässern der Gemeinschaft verwendeten Energieerzeugnisse nicht entgegen, wenn die materiellen Voraussetzungen für den Entlastungsanspruch erfüllt sind.
2. Bei einem unversteuerten Bezug von Energieerzeugnissen entsteht der Entlastungsanspruch nach § 52 Abs. 1 EnergieStG nicht bereits mit deren Verwendung, sondern frühestens mit der Festsetzung der für das bezogene Energieerzeugnis entstandenen Energiesteuer.
Normenkette
§ 24 Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 45, § 52 EnergieStG, § 55, § 96 Abs. 2 EnergieStV, § 38, § 47, § 155 Abs. 5, § 169, § 170 Abs. 1 AO, Art. 14 Abs. 1 Buchst. c, Art. 15 Abs. 1 Buchst. f EGRL 96/2003
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt öffentliche Seehäfen und setzt dort einen mit Dieselkraftstoff betriebenen Hopperbagger im Wesentlichen zu Saugbagger-, Wasserinjektions- und Transportzwecken ein. Der Hopperbagger verfügt über eine Hauptmaschine für die Manövriertätigkeit des Schiffes und über einen separaten Antrieb für das Arbeiten mit dem Saugbagger, die technisch nur im Fahrbetrieb möglich sind. Beide Maschinen werden aus einem Tank mit Bunkerdiesel versorgt.
Die Klägerin hat den Hopperbagger mit steuerbefreitem Kraftstoff für die Verwendung in der Schifffahrt betrieben (§ 27 Abs. 1 EnergieStG), ohne eine entsprechende Verwendererlaubnis (§ 24 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG) zu besitzen. Das HZA hat nach einer Steueraufsichtsmaßnahme Energiesteuer festgesetzt. Die betreffenden Steuerbescheide sind bestandskräftig geworden (FG Hamburg, Urteil vom 22.5.2020, 4 K 113/18, Haufe-Index 13938167).
Die begehrte Steuerentlastung nach § 52 EnergieStG hat das HZA abgelehnt. Zum einen sei mit Ablauf des 31.12.2017 Festsetzungsverjährung eingetreten, zum anderen habe die Klägerin die Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV versäumt.
Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage teilweise Erfolg (FG Hamburg, Urteil vom 22.5.2020, 4 K 85/19, Haufe-Index 13938166). Das FG gab der Klage statt, soweit Energieerzeugnisse für die Manövrierfähigkeit und den Fahrbetrieb des Hopperbaggers verwendet wurden, weil es sich insoweit um Schifffahrt i.S.d. § 27 Abs. 1 EnergieStG handele.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des HZA aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen zurück.
Hinweis
1. Verbrauchsteuerliche Entlastungsanträge sind regelmäßig durch die entsprechenden Verordnungen an bestimmte Fristen gebunden. So enthält § 66 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. b EnergieStG eine Ermächtigungsgrundlage für das BMF, aufgrund derer dieses durch Rechtsverordnung festlegen kann, dass der Anspruch auf Steuerentlastung innerhalb bestimmter Fristen geltend zu machen ist. Diese Fristen dienen danach insbesondere der Verfahrensvereinfachung und der Sicherung der gleichmäßigen Besteuerung.
Ob die Klägerin im Streitfall die Antragsfrist nach § 96 Abs. 2 EnergieStV versäumt hatte, konnte der BFH wegen des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (unter 2.) dahinstehen lassen. Deshalb äußerte er sich auch nicht zu der vom FG bejahten Frage, ob § 96 Abs. 2 Satz 4 EnergieStV i.d.F. der Verordnung zur Änderung der Energiesteuer- und der Stromsteuer-Durchführungsverordnung vom 20.9.2011 (BGBl I 2011, 1890) noch auf den Streitfall anzuwenden war, obwohl diese Vorschrift mit Wirkung vom 1.1.2018 (BGBl I 2018, 84 ff.) aufgehoben worden ist.
2. Jedenfalls stünde eine Versäumung dieser Antragsfrist (§ 96 Abs. 2 EnergieStV) dem Entlastungsanspruch nach § 52 EnergieStG wegen des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht entgegen.
Der BFH ging im Streitfall von einer obligatorischen Steuerbegünstigung aus. Denn die von der Klägerin geltend gemachte Steuerentlastungsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Umsetzung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. c EnergieStRL (vgl. BT-Drucks 16/1172, 38), soweit damit die Verwendung der genannten Energieerzeugnisse für die Schifffahrt in Meeresgewässern der Union begünstigt wird.
Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (EuGH, Urteil vom 6.9.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona, EU:C:2012:547, BFH/NV 2012, 1919, und EuGH, Urteil vom 2.6.2016, C-418/14, ROZ SWIT, EU:C:2016:400, Haufe-Index 19494157). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Unter Anwendung dieser Grundsätze wäre eine Fristver...