Leitsatz
1. Vereinigen sich mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand einer Erbengemeinschaft, wird diese nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt, als habe sie das Grundstück von der Gesellschaft erworben.
2. Reicht der vom Grunderwerbsteuerbescheid erfasste Lebenssachverhalt nicht aus, um den Tatbestand, an den das GrEStG die Steuerpflicht knüpft, zu erfüllen, ist der Bescheid rechtswidrig. Der im Bescheid bezeichnete nicht steuerbare Lebenssachverhalt kann nicht durch einen anderen steuerbaren ersetzt werden.
3. Sind die Anteile an einer Gesellschaft bereits aufgrund eines vorausgegangenen Rechtsgeschäfts in einer Hand vereinigt, weil das nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche Quantum von 95 % der Anteile erfüllt ist, unterliegt der Erwerb der restlichen Anteile nicht zusätzlich der Besteuerung.
Normenkette
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine aus zwei Miterben bestehende ungeteilte Erbengemeinschaft nach dem am 24.8.2007 verstorbenen K, der im Zeitpunkt seines Todes mit einem Anteil von 85 % an einer grundstücksbesitzenden GmbH beteiligt war. Die übrigen 15 % der Anteile standen im Eigentum des P.
Am 10.9.2007 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 400.000 EUR, an der die Gesellschafter im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile zur Übernahme zugelassen waren. Danach sollten auf K 340.000 EUR und auf P 60.000 EUR entfallen. Falls ein Gesellschafter die Übernahme seines Anteils an der Kapitalerhöhung innerhalb einer bestimmten Frist nicht erklärte, sollte der andere Gesellschafter zur Übernahme der Anteile berechtigt sein. Am 24.9.2007 erklärte ein Bevollmächtigter des K, dessen Vollmacht auch nach dem Tod fortbestand, die Übernahme der auf K entfallenden Anteile aus der Kapitalerhöhung. Am 18.10.2007 erklärte er auch die Übernahme des Anteils des P, nachdem dieser innerhalb der Frist keine Übernahmeerklärung abgegeben hatte. Nach der Kapitalerhöhung entfiel auf K eine Beteiligung i.H.v. 97 % und auf P eine solche i.H.v. 15.000 EUR (3 %). Am 27.2.2008 übertrug P seinen Geschäftsanteil von 15.000 EUR auf die Klägerin.
Das FA setzte mit einem geänderten Bescheid vom 25.11.2009 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. Als besteuerter Sachverhalt war die Vereinigung aller Anteile an der GmbH aufgrund des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 10.9.2007 bzw. die am 27.2.2008 erfolgte Übertragung der Anteile des P auf die Klägerin bezeichnet. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte aus, eine Erbengemeinschaft könne in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Erwerberin i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sein (FG Düsseldorf, Urteil vom 29.8.2012, 7 K 3691/11 GE, Haufe-Index 3589183).
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung sowie die Grunderwerbsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Zwar ist der BFH dem FG darin gefolgt, dass die Erbengemeinschaft selbstständiger Rechtsträger i.S.d. GrEStG und im Rahmen des § 1 Abs. 3 GrEStG selbst "Erwerberin" sein kann. Gleichwohl hatte die Revision Erfolg, weil der den Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllende Rechtsvorgang in den Grunderwerbsteuerbescheiden nicht zutreffend bezeichnet worden war.
Hinweis
1. Im Grunderwerbsteuerrecht nimmt die Erbengemeinschaft, soweit es die selbstständige Rechtsträgerschaft von Gesamthandsgemeinschaften betrifft, eine gewisse Sonderstellung ein. Die Nichtbeachtung der insoweit geltenden Grundsätze kann u.U. fatale steuerliche Auswirkungen nach sich ziehen.
2. Die Erbengemeinschaft ist zivilrechtlich als Gesamthandsgemeinschaft und kraft dieser bürgerlich-rechtlichen Selbstständigkeit auch Zurechnungssubjekt des gesamthänderisch gebundenen Sondervermögens. Vor diesem Hintergrund ist die Erbengemeinschaft auch grunderwerbsteuerrechtlich selbstständiger Rechtsträger, soweit die Miterben nach außen hin ein zum Nachlass gehörendes Grundstück veräußern oder ein Grundstück für den Nachlass erwerben.
Nichts anderes muss gelten, wenn die Erbengemeinschaft Anteile an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft erwirbt. Erlangt eine Erbengemeinschaft mindestens 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft, wird sie als Erwerberin i.S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt, als habe sie das Grundstück von der Gesellschaft erworben. Den Miterben steht nur gemeinschaftlich – und nicht etwa jedem einzelnen Miterben entsprechend seinem Erbanteil – der Anteil an der grundbesitzenden Gesellschaft zu.
Für die Praxis muss daher bei Erwerben von Anteilen an einer grundbesitzenden Gesellschaft oder Grundstücken durch eine Erbengemeinschaft stets geprüft werden, ob die Grunderwerbsteuerbelastung durch vorherige Beendigung der Erbengemeinschaft bzw. durch unmittelbaren Erwerb der Miterben verringert bzw. vermieden werden kann.
3. Die Besteuerung einer Anteilsvereinigung i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG verlangt allerdings nach einer präzisen Bestimmung des Zeitpunkts der Steuerentsteh...