Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Wertpapiere und Anteile an Kapitalgesellschaften sind grundsätzlich mit ihrem Börsenkurs am Bewertungsstichtag zu bewerten. Wenn ein Börsenkurs am Stichtag nicht vorhanden ist, ist der letzte Börsenkurs innerhalb von 30 Tagen vor dem Bewertungsstichtag anzusetzen. Dabei sind die Kurse im Handel im regulierten Markt zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für in den Freiverkehr einbezogene Wertpapiere. Bei Wertpapieren, für die kein inländischer Börsenkurs vorliegt, wird der in Euro umgerechnete Börsenkurs des Heimatstaats der Kapitalgesellschaft angesetzt.
Stichtagskurs bei Bewertung börsennotierter Werte maßgeblich
Liegt ein Börsenkurs am Bewertungsstichtag vor, sind die davor festgestellten Börsenkurse ohne Bedeutung.
Probleme können sich in der Praxis – insbesondere in Zeiten stark schwankender Börsenkurse – aufgrund der Maßgeblichkeit der Börsenkurse am Bewertungsstichtag ergeben, wenn der oder die Erben nach dem Tod des Erblassers keine Bankvollmacht und damit keine Handlungsmöglichkeiten haben.
Keine Berücksichtigung später eintretender Wertminderungen
Erblasser E ist Anfang Januar 2023 verstorben und hat ein umfangreiches Aktiendepot hinterlassen. Nach den Börsenkursen des Bewertungsstichtags ergibt sich ein Gesamtwert des Aktiendepots i. H. v. 1 Mio. EUR. E hatte seinen Erben keine Bankvollmacht hinterlassen.
Bis zur Ausfertigung eines Erbscheins verweigerte das depotverwaltende Kreditinstitut Verfügungen über das Depot, nach Vorlage des Erbscheins war wegen der allgemeinen Börsensituation der Wert des Depots auf 700.000 EUR gesunken. Wegen der stichtagsbezogenen Bewertung muss in der Erbschaftsteuererklärung der Wert am Todestag mit 1 Mio. EUR angegeben werden.
Erben sollten Kontovollmacht erteilt werden
Auch aus diesem Grund sollte immer eine Bankvollmacht – die über den Tod hinaus wirksam ist – für die potenziellen Erben vorliegen.
Wenn kein inländischer Börsenkurs für einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft vorliegt (z. B. Anteile an einer GmbH, Anteile an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft) ist nach § 11 Abs. 2 BewG der gemeine Wert der Anteile anzusetzen. Dieser gemeine Wert i. S. d. § 9 BewG (Verkehrswert) ist vorrangig aus tatsächlich erfolgten Verkäufen innerhalb eines Jahrs vor dem Bewertungsstichtag abzuleiten. Dabei ist auf Verkäufe abzustellen, die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter fremden Dritten zustande kommen. Verkäufe zwischen nahestehenden Personen, Verkäufe, die durch persönliche Verhältnisse beeinflusst worden sind, oder Verkäufe von nur geringen (unbedeutenden) Anteilen sind in diese Bewertung nicht einzubeziehen.
Liegt kein Börsenkurs vor und ist auch aus Verkäufen kein gemeiner Wert abzuleiten, erfolgt eine Schätzung des gemeinen Werts. Dabei ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln. Bei der Bemessung des gemeinen Werts ist auf die Sichtweise des Erwerbers abzustellen (Käuferpreis). Mindestens ist aber immer der Substanzwert (Summe der gemeinen Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter und der sonstigen aktiven Ansätze, abzüglich der Schulden und sonstigen Abzüge) anzusetzen.
Liegen bei einer Kapitalgesellschaft Besonderheiten vor, die einen höheren Wert begründen, als sich dies im Börsenkurs oder im gemeinen Wert nach § 11 Abs. 2 BewG ausdrückt, kann hier noch ein Zuschlag vorgenommen werden. Dies liegt insbesondere dann vor, wenn ein Gesellschafter durch die Höhe seiner Beteiligung eine beherrschende Stellung einnimmt (sogenannter "Paketzuschlag").
Vereinfachtes Ertragswertverfahren als Angebot für die Bewertung
Für die Bewertung des Betriebsvermögens und von nichtnotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften ist in den §§ 199 – 203 BewG ein vereinfachtes Ertragswertverfahren gesetzlich normiert. Vgl. Berechnungsschema zum vereinfachten Ertragswertverfahren. Allerdings ist der Steuerpflichtige nicht an dieses Bewertungsverfahren gebunden. Im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens wird der durchschnittliche, normierte Ertrag der letzten 3 Jahre mit einem Kapitalisierungsfaktor von 13,75 multipliziert.
Anteile oder Aktien, die Rechte an einem Investmentvermögen i. S. d. Kapitalanlagegesetzbuchs verbriefen (z. B. Anteilscheine an offenen Immobilienfond, Wertpapierfonds), sind mit dem Rücknahmepreis anzusetzen. Die Rücknahmepreise werden in der Regel – je nach Art der Anlagegesellschaft – laufend oder in bestimmten Zeitabschnitten veröffentlicht.