Leitsatz
1. Der Senat hält daran fest, dass sowohl der zum 01.01.2005 eingeleitete Systemwechsel zur grundsätzlich vollen Einkommensteuerpflicht von Leibrenten und anderen Leistungen der Basisversorgung als auch die Grundsystematik der gesetzlichen Übergangsregelung verfassungsgemäß ist.
2. Einem Steuerpflichtigen, der nachweisen kann, dass es in seinem konkreten Einzelfall zu einer doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen kommt, kann allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf eine Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zustehen. Eine solche doppelte Besteuerung ist nicht gegeben, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Die erforderliche Vergleichs- und Prognoserechnung ist auf der Grundlage des Nominalwertprinzips vorzunehmen.
3. Als steuerfrei bleibende Rentenzuflüsse sind in der Vergleichs- und Prognoserechnung die infolge der gesetzlichen Übergangsregelung zu beanspruchenden Rentenfreibeträge (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG) für die Rente des Steuerpflichtigen sowie für eine etwaige Hinterbliebenenrente seines statistisch voraussichtlich länger lebenden Ehegatten anzusetzen. Weitere Beträge, die im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind nicht einzubeziehen (z.B. Grundfreibetrag, Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, Werbungskosten-Pauschbetrag, Sonderausgaben-Pauschbetrag).
4. Für die Ermittlung der in Veranlagungszeiträumen bis 2004 aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Altersvorsorgeaufwendungen sind die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherung (einschließlich der ihnen gleichgestellten Teile der Vorsorgeaufwendungen nicht gesetzlich Versicherter) gleichrangig zu berücksichtigen. Alle anderen nach damaliger Rechtslage dem Grunde nach abziehbaren Vorsorgeaufwendungen werden im Rahmen der retrospektiv vorzunehmenden Prüfung, in welchem Umfang Altersvorsorgeaufwendungen in früheren Veranlagungszeiträumen als aus versteuertem Einkommen geleistet gelten, lediglich nachrangig berücksichtigt. In Fällen der Zusammenveranlagung von Eheleuten, die jeweils eigene Vorsorgeaufwendungen getragen haben, werden die gemeinsamen Sonderausgaben-Höchstbeträge im Verhältnis der vorrangig zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen beider Eheleute aufgeteilt. Eine Kürzung um Beitragsanteile, die nach der Finanzierungs- und Ausgabenstruktur der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung kalkulatorisch nicht auf die Leistung von Alters- oder Hinterbliebenenrenten entfallen, ist nicht vorzunehmen.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist Steuerberater. Er war während seiner Erwerbstätigkeit überwiegend selbstständig tätig gewesen und in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Der Kläger zahlte seine Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen und konnte diese nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen. Seit 2007 erhält er von der DRV eine Altersrente. Im Streitjahr 2008 hat das FA die Rente zu 46 % als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54 % der ESt unterworfen. Die Beteiligten sind sich einig, dass diese Besteuerung den gesetzlichen Regelungen entspricht. Der Kläger sieht die Gesetzeslage aber als verfassungswidrig an. Er meint, er habe rechnerisch deutlich mehr als 46 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus dem bereits versteuerten Einkommen geleistet. Daher liege eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung eines Teils seiner Rente vor. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.10.2019, 8 K 3195/16, Haufe-Index 13569878, EFG 2020, 116).
Entscheidung
Die Revision des Klägers war unbegründet, weil nach den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Berechnungsparametern keine doppelte Besteuerung der Rente des Klägers ermittelt werden konnte.
Hinweis
1. In diesem auch in den Medien stark beachteten Urteil hat der X. Senat die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das Alterseinkünftegesetz bekräftigt, aber auch betont, dass dem Auftrag des BVerfG, die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird, in jedem Fall Rechnung zu tragen ist.
2. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine doppelte Besteuerung nicht gegeben, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Damit können ...