Leitsatz
1. Abweichend von der bisherigen (durch die Rechtsprechung gebilligten) Verwaltungsauffassung, wonach sich die Höhe der zumutbaren Belastung ausschließlich nach dem höheren Prozentsatz richtet, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschreitet, ist die Regelung so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet wird.
2. Der Gesamtbetrag der Einkünfte als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der zumutbaren Belastung ist nicht um Beiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung zu kürzen. Insbesondere ist die Anknüpfung der Bemessungsgrundlage an den Gesamtbetrag der Einkünfte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
§ 33 Abs. 3 und Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, §§ 8 bis § 9a, § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 EStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist verheiratet und wurde für das Streitjahr (2006) mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Er erzielte u.a. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, ist rentenversicherungspflichtig und leistete im Streitjahr Beiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung. Diese Aufwendungen machte er in der Einkommensteuererklärung als vorweggenommene Werbungskosten zu den zukünftigen Rentenzahlungen geltend. Außerdem erklärten die Eheleute 4.148 EUR Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Das FA berücksichtigte die Krankheitskosten im Einkommensteuerbescheid 2006 nach Abzug der zumutbaren Belastung i.H.v. 2.069 EUR. Auf den Einspruch des Klägers erging ein geänderter Einkommensteuerbescheid, in dem das FA die Beiträge an das Versorgungswerk im Rahmen der Sonderausgabenhöchstbetragsberechnung berücksichtigte.
Im Laufe des fortdauernden Verfahrens erweiterte der Kläger sein Einspruchsbegehren dahin, dass zusätzliche außergewöhnliche Belastungen von 1.104 EUR zu berücksichtigen seien, da die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der zumutbaren Belastung um die von ihm geleisteten Beiträge an das Versorgungswerk zu kürzen sei. Der Einspruch war insoweit erfolglos.
Die daraufhin erhobene Klage wies das FG ab (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2014, 10 K 798/14, Haufe-Index 7602659, EFG 2015, 648).
Entscheidung
Auf die Revision des Klägers hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und der Klage aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen insoweit stattgegeben, als bei der Einkommensteuerfestsetzung 2006 die zumutbare Belastung mit 1.409 EUR anzusetzen ist und damit weitere Krankheitskosten i.H.v. 664 EUR als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
Hinweis
1. Außergewöhnliche Belastungen – beispielsweise Krankheitskosten – sind nach § 33 Abs. 1 EStG nur insoweit vom Gesamtbetrag der Einkünfte in Abzug zu bringen, als sie die zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigen. Die zumutbare Belastung wird dabei in drei Stufen (bis 15.340 EUR, bis 51.130 EUR und über 51.130 EUR) nach einem bestimmten Prozentsatz des Gesamtbetrags der Einkünfte und abhängig von Familienstand und Kinderzahl bemessen.
Gesamtbetrag der Einkünfte ist nach der Definition in § 2 Abs. 3 EStG die Summe der Einkünfte, vermindert um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Abs. 3 EStG.
2. Die Finanzverwaltung legt diese Bestimmung dahingehend aus, dass – sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschreitet – sich die zumutbare Belastung insgesamt nach dem höheren Prozentsatz richtet. Dieser Berechnung ist die Rechtsprechung des BFH, ohne sich damit ausdrücklich auseinanderzusetzen, bisher stillschweigend gefolgt.
Der BFH äußerte sich nur allgemein zur Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Belastung durch "den Ansatz einer – nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte, dem Familienstand und der Kinderzahl – gestaffelten zumutbaren Belastung", ohne allerdings zu den Einzelheiten der Berechnung Stellung zu nehmen (z.B. BFH, Urteil vom 13.12.2005, X R 61/01, BFH/NV 2006, 1003 und BFH, Urteil vom 26.3.2009, VI R 59/08, BFH/NV 2009, 1183).
3. An dieser Ermittlung der zumutbaren Belastung hält der erkennende Senat nicht mehr fest. § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG ist vielmehr so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den jeweiligen im Gesetz genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet wird.
Neuberechnung der zumutbaren Belastung
Nach dem neuen "Stufenmodell" ist die zumutbare Belastung bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 51.835 EUR wie folgt zu berechnen:
bis 15.340 EUR 2 % 306,80 EUR
bis 51.130 EUR 3 % 1.073,70 EUR
bis 51.835 EUR 4 % 28,20 EUR
zumutbare Belastung 1.408,70 EUR.
Bei Krankheitskosten i.H.v. 4.148 EUR und einer bisher berücksichtigten zumutbaren Belastung i.H.v. 2.073 EUR ergeben sich somit im Streitfall zusätzlich zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastungen i.H.v. 664 EUR.
4. Eine Minderung ...