Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Eine Änderung des Steuerbescheids wegen neuer Tatsachen ist nicht mehr möglich, wenn das Finanzamt zuvor widersprüchliche Angaben in der Steuererklärung anstandslos akzeptiert hat und der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise nachgekommen ist.
Sachverhalt
Ein Bezirksverkaufsleiter war für mehrere Filialen einer Warenhandelsgesellschaft zuständig und fuhr daher ständig die verschiedenen Zweigstellen an. In seinen Einkommensteuererklärungen 2003 bis 2005 machte er widersprüchliche Eintragungen: Für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte trug er jeweils zwischen 172 und 199 Arbeitstage ein, gleichzeitig setzte er stets Verpflegungsmehraufwendungen für rund 200 Tage an. Das Finanzamt akzeptierte die widersprüchlichen Angaben in allen Jahren anstandslos.
Erst im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung erkannte der Sachbearbeiter, dass die Filialen eine regelmäßige Arbeitsstätte des Verkaufsleiters darstellen und somit keine Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Reisetätigkeit abziehbar waren. Die späte Erkenntnis versuchte das Finanzamt durch eine Änderung wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO umzusetzen.
Entscheidung
Das FG entschied, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr möglich ist. Zwar können Steuerbescheide geändert werden, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Änderung ist jedoch ausgeschlossen, wenn das Finanzamt die Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht hätte erkennen können. Im Urteilsfall hatte das Finanzamt einen hinreichenden Anlass, aufgrund der Angaben in den Steuererklärungen weitere Ermittlungen anzustellen. Aufgrund der offensichtlichen Widersprüche hätte sich dem Sachbearbeiter die Frage aufdrängen müssen, wie derart hohe Verpflegungsmehraufwendungen mit zahlreichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vereinbar sind.
Zudem hat der Verkaufsleiter seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt, da er alle notwendigen Angaben gemacht und alle Reisekostenaufstellungen eingereicht hatte. Dass dem Finanzamt sämtliche Reisekostenbelege vorlagen, ergibt sich aus dem "Abhaken" der Anlagen und dem Vermerk "Nachweise lagen vor".
Hinweis
Der Steuerpflichtige kann sich nicht auf einen Ermittlungsfehler des Finanzamts berufen, wenn er sich in der Steuererklärung bewusst missverständlich ausdrückt oder bewusst falsche Angaben macht. Im Urteilsfall kam dem Steuerpflichtigen zugute, dass er in seiner Steuererklärung "mit offenen Karten gespielt" hatte und alle erforderlichen Angaben vorlagen.
Haben sich sowohl das Finanzamt als auch der Steuerpflichtige einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, fällt das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache regelmäßig in den Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen. In der Folge bleibt eine Änderung des Steuerbescheides trotz des Ermittlungsfehlers des Finanzamtes zulässig .
Link zur Entscheidung
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.02.2011, 3 K 2208/08