Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt
Leitsatz
1. Steht es der teilweisen Befreiung von den Einfuhrabgaben nach Durchführung einer passiven Veredelung gemäß Art. 145 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) beziehungsweise Art. 259 Abs. 1 des Zollkodex der Union (UZK) entgegen, wenn die Zollanmeldung für die Waren der vorübergehenden Ausfuhr von einer Zollstelle angenommen wurde, die nicht als Zollstelle für die Überführung in das Zollverfahren in der Bewilligung der passiven Veredelung nach Art. 85 in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 Buchst. b fünfter Anstrich ZK beziehungsweise Art. 211 Abs. 1 Buchst. a UZK genannt ist?
2. Ist Art. 150 Abs. 2 ZK dahingehend auszulegen, dass sich diese Vorschrift nur auf die Verpflichtungen bezieht, die nach der Überführung der Waren der vorübergehenden Ausfuhr in das Zollverfahren der passiven Veredelung bestehen, oder gilt Art. 150 Abs. 2 ZK bereits für Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Abgabe der Zollanmeldung zur Überführung der Waren der vorübergehenden Ausfuhr in die passive Veredelung?
3. Ist Art. 86 Abs. 6 UZK entsprechend anzuwenden, wenn die Zollschuld gemäß Art. 77 Abs. 1 Buchst. a UZK durch Überführung beziehungsweise Überlassung von Veredelungserzeugnissen zum zollrechtlich freien Verkehr entstanden ist?
Normenkette
Art. 85, Art. 145, Art. 150 Abs. 2 ZK, Art. 86 Abs. 6, Art. 211, Art. 259 UZK
Sachverhalt
Die Klägerin war seit Dezember 2014 Inhaberin einer Bewilligung für das Zollverfahren der passiven Veredelung. Es ging um die Herstellung von Erdnussöl als Veredelungserzeugnis bei der in der Schweiz ansässigen Firma X. Hierzu wollte die Klägerin rohes Erdnussöl vorübergehend ausführen. In der Bewilligung wurden als Zollstellen für die Überführung der Waren der vorübergehenden Ausfuhr zwei deutsche Hauptzollämter zugelassen.
Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass die Vorgänge der passiven Veredelung nicht entsprechend der ursprünglichen Bewilligung durchgeführt wurden. Vielmehr meldete die Klägerin ab Juni 2015 das rohe Erdnussöl bei einer Zollstelle in den Niederlanden an und gab hierbei zudem einen unrichtigen Verfahrenscode an (1000 = endgültige Ausfuhr). Nach der Veredelung in der Schweiz meldete die Klägerin das Erdnussöl ebenfalls mit einem unrichtigen Verfahrenscode (4000) zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. Als Zollwert hätte hierbei der gesamte Warenwert, nicht nur der Wert der Veredelung angegeben werden müssen.
Allerdings wurde die Bewilligung nachträglich geändert, indem die niederländische Zollstelle als zuständige Zollstelle für die Überführung der Waren der vorübergehenden Ausfuhr in die passive Veredelung aufgenommen wurde. Auch der Verfahrenscode 2100 für die Ausfuhr zur passiven Veredelung wurde später in den Zollanmeldungen korrigiert.
Das Hauptzollamt erließ einen Bescheid über die Nacherhebung von Einfuhrabgaben. Das FG wies die Klage ab, weil die Klägerin von ihrer Bewilligung keinen Gebrauch gemacht und die Waren nicht in das Verfahren der passiven Veredelung übergeführt habe (FG Düsseldorf, Urteil vom 11.8.2021, 4 K 1370/20 Z, Haufe-Index 14809034).
Entscheidung
Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die in den Leitsätzen genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Hinweis
1. Gem. Art. 259 Abs. 1 UZK können in der passiven Veredelung Unionswaren zur Durchführung von Veredelungsvorgängen vorübergehend aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt werden; die aus diesen Waren entstandenen Veredelungserzeugnisse können unter vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden, und zwar auf Antrag u. a. des Bewilligungsinhabers. Die Erforderlichkeit einer Bewilligung ergibt sich aus Art. 211 Abs. 1 Buchst. a UZK.
Für Vorgänge vor Mai 2016 war die passive Veredelung in Art. 145 Abs. 1 ZK geregelt.
2. Für die Lösung des Streitfalls kam es nach Auffassung des BFH darauf an, ob die Klägerin Veredelungserzeugnisse nach Durchführung der passiven Veredelung unter teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben in den zollrechtlich freien Verkehr überführen konnte, obwohl sie die Zollanmeldungen für die Überführung der Waren der vorübergehenden Ausfuhr in die passive Veredelung bei einer nicht in der Bewilligung des Zollverfahrens zugelassenen Zollstelle abgegeben hatte.
Diese Frage stellte sich sowohl bei den Veredelungsvorgängen, die unter Geltung des ZK durchgeführt wurden, als auch bei den Veredelungsvorgängen, bei denen bereits der UZK galt (ab Mai 2016).
Link zur Entscheidung
BFH, EuGH-Vorlage vom 06.08.2024, VII R 27/21