Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Erlässt das FA wegen nicht ordnungsgemäß einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG einen Haftungsbescheid i.S. des § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG und ersetzt es diesen während des Revisionsverfahrens durch einen Nachforderungsbescheid gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, liegt kein Fall der Änderung oder Ersetzung i.S. von § 68 Satz 1, § 121 FGO vor, sondern es tritt vielmehr Erledigung in der Hauptsache ein.
2. Erklärt nur der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und widerspricht das FA dieser Erklärung, ist der Rechtsstreit als Streit über die Erledigung fortzuführen und die Erledigung durch Urteil festzustellen.
Normenkette
§ 44 Abs. 5 Sätze 1 und 2, § 44 Abs. 6 Satz 5 EStG, § 68 Satz 1, § 121 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin war ein Berufsverband, der gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG von der KSt befreit war. Sie unterhielt neben dem steuerbefreiten Bereich einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, aus dem sie in den Streitjahren (2007 und 2008) einen Gewinn i.H.v. 38.620,12 EUR bzw. 8.880,65 EUR erzielte. Zum 31.12.2006 war für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein verbleibender Verlustvortrag zur KSt i.H.v. 396.341 EUR gesondert festgestellt worden. Nach Verrechnung der in den Streitjahren erzielten Gewinne mit den Verlusten der jeweiligen Vorjahre wurde die KSt für die Streitjahre auf jeweils 0 EUR festgesetzt. Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG wurde zum 31.12. der Streitjahre auf jeweils 0 EUR gesondert festgestellt.
Im Jahr 2012 erließ das FA einen Haftungsbescheid, mit dem es die Klägerin gemäß § 191 Abs. 1 AO wegen nicht abgeführter Kapitalertragsteuer i.H.v. 3.862 EUR (2007) bzw. 888 EUR (2008) nebst Solidaritätszuschlag in Anspruch nahm. Nach Auffassung des FA waren die in den Streitjahren erzielten Gewinne gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c und § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG einer 10 %igen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, da diese nicht einer gesonderten, betrieblich notwendigen Gewinnrücklage zugeführt worden waren. Die Inanspruchnahme im Wege der Haftung richtete sich gegen die Klägerin als Abzugsverpflichtete, da sie der Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht nachgekommen war.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2017, 8 K 4148/13, Haufe-Index 11607998, EFG 2018, 850). Im Revisionsverfahren hat das FA den Haftungsbescheid aufgehoben und einen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG gestützten Nachforderungsbescheid gegenüber der Klägerin erlassen. Die Klägerin hat daraufhin den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Das FA hat der Erledigungserklärung widersprochen.
Entscheidung
Der BFH hat in seinem Urteil festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hatte, da das FA den dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Haftungsbescheid während des Revisionsverfahrens aufgehoben hat. Der an seiner Stelle erlassene Nachforderungsbescheid ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos geworden.
Hinweis
1. Streitgegenstand des vorliegenden Falles ist die im Revisionsverfahren eher seltene Frage, ob sich die Hauptsache erledigt hat. Das FA hatte im Revisionsverfahren einen Haftungsbescheid aufgehoben und dafür einen Nachforderungsbescheid in Bezug auf die Kapitalertragsteuer erlassen. Die Klägerin erklärte daraufhin den Rechtsstreit für erledigt. Dagegen war das FA der Auffassung, dass Streitgegenstand des Revisionsverfahrens nach § 68 Satz 1 FGO der Nachforderungsbescheid geworden sei.
2. Tritt die Erledigung der Hauptsache erst im Revisionsverfahren ein und wird die Entscheidung der Vorinstanz dadurch gegenstandslos, spricht der BFH dies im Urteil aus, wenn nicht beide Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben. Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch das das Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist. Es genügt nicht, dass der Kläger an der Fortführung des Rechtsstreits kein Interesse mehr hat.
3. Nach Auffassung des BFH hatte sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das Klagebegehren war dadurch gegenstandslos geworden, dass das FA den Haftungsbescheid aufgehoben hatte. Auch das Revisionsverfahren hatte sich erledigt, weil der Nachforderungsbescheid nicht nach § 121 i.V.m. § 68 Satz 1 FGOan die Stelle des Haftungsbescheids getreten war. Zum einen betreffen der Nachforderungsbescheid und der Haftungsbescheid nicht denselben Besteuerungsgegenstand. Während der Nachforderungsbescheid als Steuerbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 AO die Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner festsetzt, wird bei dem Haftungsbescheid der Haftungsschuldner für die Steuerschuld eines anderen in Anspruch genommen. Es fehlt daher an dem für einen Austausch des Verfahre...