Leitsatz
Die Erstattung von Kirchensteuer ist insoweit ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, als sie die im Jahr der Erstattung gezahlte Kirchensteuer übersteigt (Anschluss an BFH-Urteil vom 07.07.2004, XI R 10/04, BFH/NV 2004, 1687).
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG
Sachverhalt
Der mit seiner Ehefrau zusammen zur ESt veranlagte Kläger erklärte am 30.12.1999 seinen Austritt aus der Kirche. In 2000 erfasste das FA diese Änderung, während die Arbeitgeberin des Klägers mangels Änderung der Lohnsteuerkarte für das gesamte Streitjahr 2000 Kirchenlohnsteuer einbehielt. Der bestandskräftige Bescheid für 2001 führte nach Verrechnung mit erstatteter Kirchensteuer für andere Veranlagungszeiträume zu hohen Kirchensteuererstattungen. Nach einer Überprüfung im Jahr 2004 änderte das FA die ESt-Festsetzung des Klägers für 2000 dahingehend, dass es nur noch Kirchensteuer i.H.v. 80 DM als Sonderausgaben berücksichtigte.
Der Einspruch und die Klage des Klägers, mit dem dieser die Auffassung vertrat, eine Erstattung von Kirchensteuer sei dann kein rückwirkendes Ereignis auf das Zahlungsjahr, wenn in diesem Jahr zu keinem Zeitpunkt eine Kirchensteuerpflicht bestanden habe, blieben ohne Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 23.04.2007, 10 K 2439/05 E, Haufe-Index 1763523, EFG 2007, 1052).
Entscheidung
Der BFH bestätigte aus den oben dargestellten Gründen das Urteil des FG. Zu Recht habe das FG erkannt, dass die Erstattung von Kirchensteuer, die im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden kann, ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO sei. Die im Jahr der Erstattung nicht verrechenbaren Rückzahlungen mindern die im Jahr der Zahlung bisher nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG anerkannten Sonderausgaben.
Hinweis
Mit diesem Urteil führt der BFH seine langjährige Rechtsprechung zur Behandlung der Erstattungen von Sonderausgaben bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben fort.
1. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass als "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 S. 1 EStG nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist.
2. Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben, wie z.B. der Kirchensteuer, mindern Erstattungen, obwohl sie auf Überzahlungen in früheren Jahren beruhen, den steuerlich berücksichtigungsfähigen Sonderausgabenabzug des Jahrs, in dem sie erstattet werden.
3. Trotz gewisser steuersystematischer Bedenken hält der BFH aus Gründen der Rechtskontinuität und der Praktikabilität an diesem Grundsatz fest. Andernfalls wären zahllose Veranlagungen (wegen des Kaskadeneffekts wiederholt) bei zum Teil nur geringfügigen Erstattungen zu ändern. Dies ist weder den Steuerpflichtigen noch den Finanzbehörden zuzumuten. Auf der anderen Seite sollen durch diese Rechtsprechung aber auch keine nicht gerechtfertigten Steuervorteile entstehen.
4. Sind die Erstattungsbeträge geringer als die im Erstattungsjahr gezahlten gleichartigen Sonderausgaben, erfolgt eine Saldierung dieser Sonderausgaben. Eine Änderung der ursprünglichen Veranlagung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist nicht angezeigt.
5. Sind im Jahr der Erstattung keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen oder übersteigen die erstatteten Sonderausgaben die gezahlten (sog. Erstattungsüberhang), fehlt es insoweit an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen. Der Sonderausgabenabzug ist dann im ursprünglichen Zahlungsjahr über § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu korrigieren.
6. Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Erstattung (Rückzahlung) einer ohne Rechtsgrund einbehaltenen Kirchensteuer ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Angesichts der Tatsache, dass nach ständiger Rechtsprechung des BFH erstattete Kirchensteuer vorrangig mit gleichartigen Sonderausgaben des Erstattungsjahrs zu verrechnen ist, kommt diesem Ereignis (Erstattung zu viel einbehaltener Kirchenlohnsteuer) Rückwirkung zu, wenn nach Ablauf des Erstattungsjahrs feststeht, dass erstattete Sonderausgaben nicht oder nicht in vollem Umfang mit Sonderausgaben des Erstattungsjahrs verrechnet werden können.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 02.09.2008, X R 46/07