OFD Karlsruhe, Verfügung v. 26.3.2003, S 0353 A - St 412
Bei der Korrektur von Einkommensteuerfestsetzungen im Hinblick auf einen Erstattungsüberhang bei der Kirchensteuer ist Folgendes zu beachten:
Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids auf der Grundlage des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur nachträglichen Berücksichtigung erstatteter Kirchensteuer in den Fällen eines Erstattungsüberhangs setzt voraus, dass das rückwirkende Ereignis „Erstattungsüberhang” nachträglich, nach dem Erlass des Steuerbescheides – ggf. nach dem Erlass des zuletzt erlassenen Änderungsbescheides – eingetreten ist. Die Vorschrift kann nicht herangezogen werden, wenn das rückwirkende Ereignis „Erstattungsüberhang” schon vor Erlass des Steuerbescheides bzw. vor Erlass des zuletzt erlassenen Änderungsbescheides eingetreten ist (BFH vom 21.4.1988, BStBl 1988 II S. 863; vom 19.7.1993, BStBl 1993 II S. 897 ; vom 17.3.1994, BFH/NV 1995 S. 274). Abweichend von diesem Grundsatz bleibt bei Beurteilung der Frage, ob das rückwirkende Ereignis „Erstattungsüberhang” nachträglich eingetreten ist, ein Änderungsbescheid außer Betracht, mit dem das FA lediglich – in Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO – eine Anpassung des Steuerbescheids an einen Grundlagenbescheid vorgenommen hat. Die zu § 173 AO ergangene Rechtsprechung (BFH vom 12.1.1989, BStBl 1989 II S. 438), wonach das FA bei Anpassung des Steuerbescheids an einen Grundlagenbescheid Tatsachen, die eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtfertigen, (zunächst) unberücksichtigt lassen kann, ist insoweit entsprechend anwendbar (s. AEAO zu § 173, Nr. 2.4).
Als Zeitpunkt, zu dem das die Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auslösende rückwirkende Ereignis „Erstattungsüberhang” eintritt, kann regelmäßig der Ablauf des Jahres angenommen werden, in dem der betreffende (nicht verrechnungsfähige) Kirchensteuerbetrag erstattet wurde.
Kann die Änderung eines Einkommensteuerbescheids zur Berücksichtigung erstatteter Kirchensteuer nach den vorstehenden Grundsätzen nicht mit dem Hinweis auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO begründet werden, weil das rückwirkende Ereignis „Erstattungsüberhang” schon vor Erlass des (zuletzt erlassenen) Steuerbescheids eingetreten ist, bleibt zu prüfen, ob die Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht kommt. Die Änderung des Steuerbescheids nach dieser Vorschrift zur nachträglichen Berücksichtigung erstatteter Kirchensteuer ist zulässig, wenn der Erstattungsüberhang bei Erlass des (zu ändernden) Steuerbescheids zwar schon eingetreten war, die Fakten, aus denen sich der Erstattungsüberhang ableitet, dem FA aber erst nachträglich bekannt geworden sind. Eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann in den betreffenden Fällen somit insbesondere in Betracht kommen, wenn das FA den Erstattungsüberhang im Hinblick auf gezahlte Lohnkirchensteuer nicht schon mit dem Ablauf des Erstattungsjahres anhand des Speicherkontos feststellen konnte. Die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheidet aus, wenn die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO entgegensteht.
Einer Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (bzw. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) wegen eines Erstattungsüberhangs bei der Kirchensteuer steht § 176 AO nicht entgegen. Es liegt keine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung i.S. des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO vor. Die früher übliche Handhabung eines Erstattungsüberhangs von Sonderausgaben war auch nicht Gegenstand einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift i.S. des § 176 Abs. 2 AO.
Da ein Erstattungsüberhang bei der Kirchensteuer ein rückwirkendes Ereignis darstellt, ist bei erstmaliger Berücksichtigung des Erstattungsüberhangs im Rahmen der Steuerfestsetzung § 233a Abs. 2a AO zu beachten. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Erstattungsüberhang nach den vorstehenden Grundsätzen erstmals in einer nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Steuerfestsetzung berücksichtigt wird.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2