Leitsatz
Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, sind als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes tarifbegünstigt ist (Abweichung vom BFH-Urteil vom 12.11.2013 – VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 mit Zustimmung des VIII. Senats).
Normenkette
§ 34 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 EStG, § 233a AO
Sachverhalt
Nach einem Rechtsstreit, der sich über acht Jahre hingezogen hatte (mit Einspruchs‐, Klage- und Revisionsverfahren), schlossen die Kläger und das FA eine tatsächliche Verständigung, die zu Steueränderungen zugunsten der Kläger führte. Die USt für mehrerer Jahre wurde um insgesamt 321.774 EUR herabgesetzt und es wurden Erstattungszinsen i.H.v. insgesamt 203.022 EUR festgesetzt. Die Kläger behandelten beide Zahlungen als gewinnerhöhend, beantragten aber die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG. Das FA gewährte (nach neuerlichem Rechtsstreit) den ermäßigten Steuersatz in Bezug auf die USt-Erstattungen, nicht aber in Bezug auf die Erstattungszinsen. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 4.5.2021, 2 K 1666/20, Haufe-Index 15137291).
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Klagestattgabe. Auch die Erstattungszinsen stellen nach Ansicht des BFH Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar. Dementsprechend wurde das FA verpflichtet, auch für die Erstattungszinsen den ermäßigten Steuersatz anzuwenden.
Hinweis
1. Treffen in einem VZ laufende Einkünfte und außerordentliche Einkünfte zusammen, kann dies wegen der dadurch ausgelösten Progressionswirkung zu besonderen Härten für den Steuerpflichtigen führen. Um diese Härten abzumildern, gewährt § 34 EStG eine sog. Tarifvergünstigung. Betroffen sind hiervor (u.a.) Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten.
Vergütungen in diesem Sinne sind nach der BFH-Rechtsprechung alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 6.5.2020, X R 24/19, BStBl II 2021, 141, BFH/NV 2021, 235, Haufe-Index 14261127, Rz. 13). Darunter fallen auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die – wie im Streitfall – zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören.
Als mehrjährige Tätigkeit wird jedes Verhalten erfasst, das der Erzielung von Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 1 Nrn. 1–7 EStG dient und sich über mindestens zwei VZ erstreckt (BFH, Urteil vom 23.10.2013, X R 3/12, BStBl II 2014, 58, BFH/NV 2014, 95, Haufe-Index 5928618, Rz. 70).
2. Nun hatte allerdings der VIII. Senat des BFH entschieden, dass Zinszahlungen keine "Tätigkeit" vergüteten. Es handle sich vielmehr um eine durch Verwaltungsakt bestimmte zwangsweise Kapitalüberlassung. Die Zinsen entstünden ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen kraft Gesetzes als Ausgleich für die Vorenthaltung der Erstattungsleistung (BFH, Urteil vom 12.11.2013, VIII R 36/10, BStBl II 2014, 168, BFH/NV 2014, 606, Haufe-Index 6449643, Rz. 37).
Nach Auffassung des X. Senats schließt dagegen allein der Umstand, dass der Steuerpflichtige eine bestimmte Handlung aufgrund einer ihn bindenden staatlichen Anordnung vornimmt, nicht aus, diese Handlung als "Tätigkeit" anzusehen.
Der X. Senat hat daher beim VIII. Senat nach § 11 Abs. 3 FGO angefragt, ob er an seiner Rechtsauffassung festhalte, und der VIII. Senat hat daraufhin erklärt, dass er nunmehr ebenfalls den Bezug von Erstattungszinsen als Vergütung einer Tätigkeit beurteilt.
3. Schließlich lagen auch außerordentliche Einkünfte vor. Denn nicht nur die USt-Erstattungen waren aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und gewinnerhöhend zu erfassen gewesen, sondern ebenso die durch die USt-Erstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese haben die durch die USt-Erstattungen ausgelöste Progressionswirkung sogar noch erheblich verstärkt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.8.2023 – X R 2/22