Leitsatz
1. Eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG liegt insbesondere vor, wenn dieser die tatsächliche Sachherrschaft darüber aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann.
2. Eine Einrichtung des Arbeitnehmers, die dieser aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen, dinglichen oder auch faktischen Nutzungsrechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, kann eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, wenn dieser aufgrund seines Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung auf die Nutzung der Einrichtung durch den Arbeitnehmer bestimmenden Einfluss nehmen kann.
3. Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers ist sein Amtssitz, bestehend aus den Dienstgebäuden des Amtsgerichts, dem er zugeordnet ist, und dem Geschäftszimmer, welches er am Sitz des Amtsgerichts auf eigene Kosten vorzuhalten hat.
Normenkette
§ 9 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist als Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht (AG) Y beschäftigt und erzielt hieraus Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Über einen Arbeitsplatz/Büro im Gerichtsgebäude verfügt er nicht. Er unterhält jedoch in unmittelbarer Nähe zum AG Y mit weiteren Gerichtsvollziehern auf eigene Kosten ein angemietetes Gemeinschaftsbüro. In diesem nutzt er zu seinen Bürozeiten am Dienstag und Mittwoch ein Bürozimmer für ca. zwei Stunden.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2015) machte der Kläger Fahrtkosten zum AG Y nach Reisekostengrundsätzen als Werbungskosten geltend. Das FA setzte die Fahrtkosten allerdings nur in Höhe der Entfernungspauschale an, da der Kläger an seinem Amtssitz in den Dienstgebäuden des AG Y sowie dem angemieteten Geschäftszimmer in Y über eine erste Tätigkeitsstätte verfüge. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.7.2018, 10 K 1935/17, Haufe-Index 14204771, EFG 2019, 530).
Entscheidung
Die Revision des Klägers hat der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
3. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden (z.B. BFH, Senatsurteil vom 4.4.2019, VI R 27/17, BStBl II 2019, 536, Rz. 13, m.w.N.). Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbstständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen (BFH, Urteil vom 11.4.2019, VI R 40/16, BFH/NV 2019, 959).
4. Eine Einrichtung des Arbeitgebers liegt vor, wenn sie ihm zuzurechnen ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitgeber die tatsächliche Sachherrschaft über die betreffende Einrichtung aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeits- oder dienstrechtlichen Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung bestimmenden Einfluss auf die Nutzung der Einrichtung für seine betrieblichen Zwecke ausüben kann. Unter diesen Voraussetzungen kann auch eine Einrichtung, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen oder dinglichen Rechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein.
5. Nach diesen Maßstäben ist das FG im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass sich die erste Tätigkeitsstätte des Klägers im Streitjahr an seinem Amtssitz in den Dienstgebäuden des AG Y sowie dem vom Kläger angemieteten Geschäftszimmer (§ 30 GVO) in Y befand.
a) Die Dienstgebäude des AG Y, zu denen insbesondere das Geschäftszimmer der Verteilungsstelle (§ 23 GVO) gehör...