LfSt Niedersachsen, Schreiben vom 21.2.2022, S 2134 a - 6 - St 222/St 221
Abgrenzung des Erwerbs einer Vertragspraxis vom Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung
I. Allgemeines
Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 (vom 21.12.1992, BGBl 1993 I S. 2266) bestehen für die Niederlassung von Ärzten Zulassungsbeschränkungen. Dadurch haben Vertragsarztsitze einen gewissen Wert. Sofern durch die Kassenärztliche Vereinigung eine Überversorgung in einem Planungsbereich festgestellt wird, tritt grundsätzlich eine Zulassungssperre ein, wobei freiwerdende Vertragsarztsitze erlöschen.
Nach § 103 Abs. 3a, 4 SGB V kann ein ausscheidender Arzt, der seine Praxis in einem überversorgten Planungsbereich betreibt und diese veräußern möchte, beim Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung einen Antrag stellen, den Vertragsarztsitz auszuschreiben. Dadurch wird für ihn eine wirtschaftliche Verwertung der Praxis oder zumindest der Zulassung möglich. Nach erfolgter Ausschreibung hat der Zulassungsausschuss nach seinem Ermessen einen Nachfolger auszuwählen. Dabei sind neben anderen Kriterien auch die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes angemessen zu berücksichtigen. § 103 Abs. 4 SGB V bewirkt daher, dass der Kaufinteressent der Praxis die öffentlich-rechtliche Zulassung erhalten kann und somit u.U. auch der Praxiserwerb möglich wird, obwohl grundsätzlich eine Zulassungssperre für den Planungsbereich besteht. Ohne diese Regelung könnte ein aufgebender Arzt seine Praxis quasi nicht mehr veräußern, da ohne eine vertragsärztliche Zulassung die Grundlage für die Fortführung der Praxis durch den Erwerber entzogen wäre.
Dagegen wird im nicht gesperrten Planungsbereich lediglich eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung benötigt. Dann ist der Praxiserwerb nur noch eine zivilrechtliche Angelegenheit.
II. Abgrenzung des Erwerbs einer Vertragsarztpraxis vom Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus Vertragsarztzulassung
II.1 Vertragsarztzulassung als Bestandteil des Praxiswerts
Der BFH hat bereits mit Urteil vom 9.8.2011, VIII R 13/08, BStBl 2011 II S. 875, entschieden, dass der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt in der Regel in dem Praxiswert einer Arztpraxis enthalten ist. Erwirbt daher ein Praxisnachfolger eine bestehende Arztpraxis, einen Teilbetrieb oder einen Mitunternehmeranteil mit Vertragsarztsitz und zahlt unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts der Praxis, ist der „Vertragsarztzulassung” kein gesonderter Wert beizumessen. Wenn sich somit der Kaufpreis einer Arztpraxis nach dem Verkehrswert richtet, lässt sich von dem Praxiswert kein gesondertes Wirtschaftsgut „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung” abspalten. In diesem Fall ist in dem Praxiswert der „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung” untrennbar enthalten mit der Folge, dass die vom Erwerber vorzunehmende Abschreibung auf den Praxiswert auch die Vertragsarztzulassung umfasst.
Der BFH sieht sogar in einem Zuschlag zum Verkehrswert („Überpreis”) ein Indiz für den Erwerb einer Arztpraxis. Die Zahlung eines solchen Überpreises indiziert nach Auffassung des BFH erst recht, dass der Gegenstand der Übertragung die gesamte Arztpraxis ist, vgl. dazu BFH-Urteil vom 21.2.2017, VIII R 7/14, BStBl 2017 II S. 689.
II.2 BFH-Urteile vom 21.2.2017
Der BFH hat mit seinen Urteilen vom 21. Februar 2017, VIII R 7/14 und VIII R 56/14, BStBl 2017 II S. 689 und 694, seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und entschieden, dass die Vertragsarztzulassung Teil des Praxiswerts ist, der als Wirtschaftsgut nach § 7 Abs. 1 EStG abzuschreiben ist. Der BFH weist darauf hin, dass für die Ermittlung der AfA nach § 7 Abs. 1 EStG zwischen dem Erwerb des Betriebs einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) und dem Sonderfall des Erwerbs nur des immateriellen Wirtschaftsguts des „mit der Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils” zu unterscheiden ist. In der Regel erwirbt der Käufer eine Vertragsarztpraxis als einheitliches „Chancenpaket”, das sich aus verschiedenen wertbildenden Faktoren wie Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe etc. zusammensetzt und neben den einzelnen bewertbaren materiellen Wirtschaftsgütern der Praxiseinrichtung hauptsächlich durch den als immaterielles Wirtschaftsgut abschreibbaren Praxiswert repräsentiert wird. Im „Praxiswert” ist somit neben dem Patientenstamm auch der „Vorteil aus der Vertragsarztzulassung” enthalten. Wie bei dem Firmen- bzw. Geschäftswert des Betriebs eines Gewerbetreibenden handelt es sich auch beim Praxiswert um einen Inbegriff einer Anzahl von im Einzelnen nicht messbaren Faktoren. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung als Vertragsarzt neben oder statt des Praxiswerts kommt aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht, da ein sachlich begründbarer Aufteilungs- oder ...