OFD Frankfurt, Verfügung vom 26.7.2021, S 2743 A – 12 – St 523
Vermeidung der steuerlichen Konsequenzen aus der Anwendung des Beschlusses des Großen Senats vom 9.6.1997 GrS 1/94, BStBl 1998 II S. 307
1. Ertragsteuerliche Beurteilung von Darlehensverbindlichkeiten im Abwicklungsendvermögen einer Tochtergesellschaft
Auf Bund-Länder-Ebene wurde erörtert, welche ertragsteuerlichen Konsequenzen sich aus der Auflösung und Liquidation einer Tochtergesellschaft ergeben, in deren Abwicklungsendvermögen sich eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber ihrer Muttergesellschaft befindet.
1.1. Sachverhalt
Mutter- und Tochtergesellschaft (beides Kapitalgesellschaften) haben eine Darlehensvereinbarung getroffen. Die Muttergesellschaft beschließt nunmehr die Auflösung und Liquidation der Tochtergesellschaft bzw. stimmt dieser zu, hat aber ausdrücklich keinen Forderungsverzicht hinsichtlich ihrer Darlehensforderung erklärt.
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die Beantragung der Liquidation oder die Zustimmung zu dieser als konkludenter Forderungsverzicht der Muttergesellschaft anzusehen ist und ob bei der Tochtergesellschaft aufgrund eines eventuellen Wegfalls der wirtschaftlichen Belastung durch die Darlehensverbindlichkeit ein steuerpflichtiger Ertrag entsteht.
1.2. Beschluss
Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder gilt in solchen Fällen Folgendes:
Allein in der Beantragung oder Zustimmung des Gläubigers zur Liquidation einer Tochterkapitalgesellschaft ist kein konkludenter Forderungsverzicht zu sehen. Es ist unverändert von einer wirtschaftlichen Belastung durch die Verbindlichkeit beim Schuldner auszugehen. Diese entfällt erst, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr geltend machen wird.
1.3. Ergänzende Hinweise
1.3.1. Allgemeines
Allgemein gilt, dass die Vermögenslosigkeit des Schuldners keinen Einfluss auf die Pflicht zur Passivierung einer Verbindlichkeit in Handels- und Steuerbilanz hat (vgl. BFH vom 10.8.2016, I R 25/15, BStBl 2017 II S. 670, Rz. 15; BFH vom 15.4.2015, I R 44/14, BStBl 2015 II S. 769, Rz. 9). Zudem liegt hierin grundsätzlich kein besonderer Umstand, der einen unterhalb des Nennwerts liegenden geringeren Wert der Verbindlichkeit begründet. Es ist erst dann von keiner wirtschaftlichen Belastung des Schuldners auszugehen, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr geltend machen wird (BFH vom 26.2.2003, II R 19/01, BStBl 2003 II S. 561, Rz. 21).
Besteht die Verbindlichkeit bis zum Abschluss der Liquidation zivilrechtlich fort, ist im Einzelfall zu prüfen, wie die Verbindlichkeit in der Abwicklungsschlussbilanz (§ 11 KStG) der sich in Liquidation befindenden Kapitalgesellschaft zu bewerten ist. Grundsätzlich beeinflussen weder die Vermögenslosigkeit des Schuldners noch deren bevorstehende Existenzbeendigung den Wertansatz im Rahmen der Liquidationsbesteuerung. Verbindlichkeiten bleiben zivilrechtlich über die Liquidation hinaus bestehen und können bei später festgestelltem Vermögen im Rahmen von Nachtragsliquidationen befriedigt werden.
Hieraus ergeben sich keine von dem o.g. Beschluss abweichenden Regelungen. Im Rahmen der Würdigung sind besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
1.4. Rangrücktrittsvereinbarungen
In Fällen, in denen die Muttergesellschaft für die Forderung einen qualifizierten Rangrücktritt erklärt hat, wonach die Forderung gegen die Tochtergesellschaft hinter sämtlichen Forderungen derzeitiger und zukünftiger Gläubiger zurücktritt, ist Folgendes zu beachten:
Der vereinbarte Rangrücktritt ist dann für die Rechtsfrage unmaßgeblich, wenn die Vereinbarung die Tilgung aus sonstigem freien Vermögen vorsieht. Bei Fehlen einer solchen Möglichkeit ist die Verpflichtung unabhängig von dem vorgenannten Beschluss bereits aus diesem Grund gem. § 5 Abs. 2a EStG nicht mehr zu passivieren, da es ansonsten an einer für die Passivierung maßgeblichen wirtschaftlichen Belastung mangelt (vgl. BMF-Schreiben vom 8.9.2006, BStBl 2006 I S. 497, Rz. 6).
In Fällen, in denen die Muttergesellschaft den qualifizierten Rangrücktritt zur Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung der Tochtergesellschaft erklärt hat, gelten keine von dem Beschluss abweichenden Regelungen. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist Voraussetzung für die insolvenzvermeidende Wirkung des Rangrücktritts (und somit die Suspendierung der Passivierungsverpflichtung im Überschuldungsstatus), dass das vereinbarte Zahlungsverbot dann eingreift, wenn durch eine gedachte Zahlung Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zumindest einzutreten droht (BGH vom 5.3.2015, IX ZR 133/14, Rz. 22). Dieser insolvenzrechtliche Anspruch hat jedoch keine Auswirkung auf die handels- und steuerbilanzielle Behandlung. Die Feststellung des Überschuldungsstatus dient lediglich der Entscheidung darüber, ob ein Insolvenzverfahren zu beantragen ist.
1.4.1. Insolvenz
Auch in Fällen...