Leitsatz
Kinderbetreuungskosten können auch dann nach § 9c Abs. 1 EStG 2009 a.F. "wie" Werbungskosten abgezogen werden, wenn sie durch eine erst angestrebte Tätigkeit veranlasst sind.
Normenkette
§ 9c EStG 2009 a.F.
Sachverhalt
Die Kläger sind Eltern eines 2002 geborenen Sohnes, der sich von Januar bis August 2009 ganztägig im Kindergarten und von September bis Dezember 2009 in der Schülerbetreuung (Verlässliche Grundschule) befand. Der Kindergarten nahm Kinder aufgrund einer Warteliste jeweils für ein "Kindergartenjahr" auf, das am 1.8. begann und am 31.7. des Folgejahres endete. Eine vorzeitige Kündigung des Vertrags wegen Arbeitslosigkeit eines Erziehungsberechtigten war nicht möglich. Die Unterbringung in der Verlässlichen Grundschule galt für das gesamte Schuljahr 2009/2010. Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen überstieg den Bedarf. Die Plätze wurden stets zum Beginn eines Schuljahres vollständig vergeben.
Der Kläger erzielte Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit, die Klägerin war arbeitslos, nachdem ihr Arbeitsverhältnis zum 31.12.2008 aufgelöst worden war. Im Laufe des Streitjahres bewarb sie sich um mindestens 50 Stellen, seit Anfang 2010 ist sie aufgrund einer im Oktober 2009 erhaltenen Stellenzusage wieder erwerbstätig.
Das FA setzte die ESt ohne Berücksichtigung der für Kindergarten und Grundschulbetreuung entstandenen Kinderbetreuungskosten fest, weil nicht beide Elternteile erwerbstätig gewesen seien. Im Einspruchsverfahren wurden aufgrund der Auffassung, dass Kinderbetreuungskosten als erwerbsbedingt anerkannt werden könnten, wenn eine Erwerbstätigkeit durch die Arbeitslosigkeit vorübergehend unterbrochen werde und der irrtümlichen Annahme, dass die Klägerin im Januar 2009 noch erwerbstätig gewesen sei, Kinderbetreuungskosten für Januar bis Mai 2009 anerkannt.
Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 22.5.2014, 1 K 1/13, Haufe-Index 6980279, EFG 2014, 1379) gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die Veranlassung der Kinderbetreuung durch die Erwerbstätigkeit genügte, und die Würdigung des FG, dass eine solche Veranlassung im Streitfall vorlag, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§ 118 Abs. 2 FGO): Wegen ihrer zum Jahresende 2008 eingetretenen Arbeitslosigkeit konnte die Klägerin den Vertrag mit dem Kindergarten nicht vorzeitig kündigen, und ab August 2009 musste sie angesichts ihrer Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle einen künftigen Betreuungsbedarf sicherstellen.
Hinweis
Seit 2012 können Kinderbetreuungskosten nur noch als Sonderausgaben abgezogen werden; die Eltern brauchen dazu aber nicht mehr erwerbstätig, krank oder in Ausbildung zu sein (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Bis 2011 konnten Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes, die wegen dessen Erwerbstätigkeit anfallen, bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen, höchstens 4.000 EUR je Kind, bei der Ermittlung der Gewinneinkünfte gemäß § 9c Abs. 1 Satz 1 EStG"wie" Betriebsausgaben abgezogen werden. Im Fall des Zusammenlebens der Elternteile gilt dies nur, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind (§ 9c Abs. 1 Satz 2 EStG). Dies galt sinngemäß bei Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit.
1. Der Gesetzgeber ist trotz der privaten Mitveranlassung von Kinderbetreuungskosten durch das Gebot der horizontalen Steuergleichheit und Art. 6 Abs. 1 GG gehalten, die durch erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten entstandene Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.
2. Der Abzug von Werbungskosten setzt lediglich voraus, dass sie durch die Erzielung steuerpflichtiger Einkünfte veranlasst sind, d.h. dass ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Werbungskosten können auch dann abgezogen werden, wenn sie nach Beendigung einer Tätigkeit anfallen, durch die Überschusseinkünfte erzielt werden; ihr Grund muss dann jedoch bereits zu dem Zeitpunkt gelegt sein, in dem die Tätigkeit ausgeübt wurde. Sie können auch durch eine künftige, erst angestrebte Tätigkeit veranlasst sein (vorweggenommene Werbungskosten).
3. Der Grundsatz, dass die Veranlassung durch eine bereits beendete oder eine erst angestrebte Tätigkeit für den Werbungskostenabzug genügt, gilt auch, wenn der Gesetzgeber sowohl beruflich als auch privat veranlasste Kinderbetreuungskosten nicht "als" Werbungskosten einstuft, sondern zum Abzug "wie Werbungskosten" zulässt.
4.§ 9c EStG setzt keine Gleichzeitigkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit voraus. Der Wortlaut des § 9c Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach die Betreuungsaufwendungen "wegen einer Erwerbstätigkeit ... anfallen" müssen, stellt nur auf die Kausalität zwischen Erwerbstätigkeit und Aufwendungen ab, und nicht – wie z.B. die Formulierungen "während einer Erwerbstätigkeit" oder "wegen einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit" – auf deren zeitliche Beziehung.
5.§ 9c Abs. 1 Satz 2...