Leitsatz
Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen (hier: Krankengeld) erbracht und ist der Anspruch des Berechtigten auf diese infolge der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit den Wirkungen entfallen, dass der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig ist (§ 103 Abs. 1 SGB X) und der Rentenanspruch des Berechtigten als erfüllt gilt (§ 107 Abs. 1 SGB X), unterliegt die Rente im Umfang dieser Erfüllungsfiktion als abgekürzte Leibrente mit ihrem Ertragsanteil der Einkommensteuer.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 4 , § 32b Abs. 1 Nr. 1b EStG
Sachverhalt
Der 1943 geborene Kläger erhielt für die Zeit von Juli 1997 bis Juni 1998 Krankengeld von der Krankenkasse (TKK). Die zuständigen Sozialversicherungskassen (BfA und VBL) erkannten ihm rückwirkend ab Juni 1997 Erwerbsunfähigkeitsrenten zu. Die BfA erstattete der TKK im Jahr 1998 das gezahlte Krankengeld. Das FA setzte im ESt-Bescheid 1997 die von der BfA für 1997 erstatteten Leistungen als mit 21 % zu versteuernde Leibrenten an und erfasste zudem dem Progressionsvorbehalt unterliegende Lohnersatzleistungen i.H. der Differenz zwischen dem von der TKK für 1997 gezahlten Krankengeld und dem von der BfA an die TKK für 1997 geleisteten Erstattungsbetrag.
Im angefochtenen ESt-Bescheid für 1998 setzte das FA die für 1998 geleisteten Rentenzahlungen i.H. von 21 % als sonstige Einkünfte an; zusätzlich erfasste es ebenfalls als sonstige Einkünfte mit 21 % die für 1997 im Streitjahr 1998 gezahlten Renten abzüglich der von der BfA an die TKK geleisteten Erstattung für 1997.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger, den Gesamtbetrag der Rentennachzahlungen für 1997 mit dem Ertragsanteil (21 %) anzusetzen und bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 1 Nr. 1b EStG Krankengeld (negative Differenz zwischen dem für 1998 von der TKK gezahlten Krankengeld und den der TKK von der BfA für 1997 und 1998 erstatteten Beträgen) mit der Wirkung eines negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
Das FG wies die Klage ab (EFG 2001, 1371). Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.
Entscheidung
Ausgangspunkt für die Bestimmung der steuerlichen Ertragsanteile sei der Nominalwert der Bezüge, die der Kläger aus den Versicherungsverhältnissen mit der BfA und VBL erhalte. Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht folge aus der Tatsache, dass die BfA Krankengeld an die TKK "zurückgezahlt" habe, nicht die von ihm begehrte Rechtsfolge eines negativen Progressionsvorbehalts, wie er in R 185 Abs. 3 Satz 2 EStR 1998 vorgesehen sei. Dies erschließe sich bereits aus der Erwägung, dass das Krankengeld nicht vom Kläger selbst zurückgezahlt worden sei. Vielmehr habe eine Verrechnung zwischen zwei Leistungsträgern stattgefunden. Die Erstattung durch die BfA bewirke, dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen Sozialleistungen ihrem materiell-rechtlichen Rechtsgrund entsprechend zutreffend besteuert würden.
Der Ansatz eines negativen Betrags an Krankengeld im Streitjahr 1998 mit der Folge eines negativen Progressionsvorbehalts komme hiernach nicht in Betracht. Denn die später verwirklichte Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 2 SGB X ändere nichts daran, dass der Zufluss des Krankengeldes beim Kläger bereits 1997 stattgefunden habe und der "Austausch" der Rechtsgrundlage sich daher in diesem VZ nur insoweit auswirke, als ein Teil des 1997 zugeflossenen Krankengelds nunmehr im Umfang der Erstattung – rückwirkend – als Erwerbsunfähigkeitsrente behandelt werde. Im Übrigen verbleibe es bei der steuerlichen Behandlung als Krankengeld.
Hinweis
1. Erwerbsunfähigkeitsrenten sind abgekürzte Leibrenten (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 4.10.1990, X R 60/90, BStBl II 1991, 89; R 167 Abs. 7 EStR 1998), deren Ertragsanteile nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 4 EStG i.V.m. § 55 Abs. 2 EStDV zu ermitteln sind. "Beginn der Rente" ist der Eintritt des sozialversicherungsrechtlich maßgebenden Versicherungsfalls. Die Erwerbsunfähigkeitsrente endet spätestens mit dem Eintritt des Versicherungsfalls des Alters.
2. Der Rechtsgrund für Ansprüche auf Versicherungsleistungen ergibt sich aus dem bei Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls bestehenden Versicherungsverhältnis (BFH, Urteil vom 5.9.2001, X R 40/98, BFH-PR 2002, 85). Dieser Rechtsgrund ist auch für die Besteuerung maßgebend. Nur auf diese Weise kann – entsprechend dem Konzept der Ertragsanteilsbesteuerung – der steuerbare Ertragsanteil in der zutreffenden Höhe von der nichtsteuerbaren zeitlich gestreckten Auszahlung bzw. Rückzahlung eigenen Vermögens getrennt und in dem VZ steuerlich erfasst werden, in dem er zugeflossen ist. Diese Sicht ermöglicht es – ungeachtet der Modalitäten der Zahlung –, hier durch einen vorleistenden Träger
(1) an einen auf den Versicherungsfall bezogenen "Beginn der Rente" anzuknüpfen und für die gesamte Dauer des Rentenbezugs einen einzigen "Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil)" zu ermitteln,
(2) die Rechtswirkungen eines (ggf. negativen) Progressionsvorbehal...