a) Bei Vorliegen aller Anforderungen grds. keine Einschränkung des Vorsteuerabzugsrechts
Zum Verständnis dieser (gefestigten) Rechtsansicht des EuGH – und vor allem deren Konsequenzen für die deutsche Rechtspraxis – empfiehlt sich ein Blick in die Entscheidungsgründe des Besprechungsfalls in deren Rz. 21 bis 26, in denen der EuGH die o.g. Rechtsfolge unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung sozusagen herleitet.
So weist der EuGH zunächst darauf hin, dass das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie für eine steuerbare Tätigkeit erworben oder empfangen haben, als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstelle. Das in den Art. 167 ff. MwStSystRL vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug sei somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und könne grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, sofern die materiellen wie auch die formellen Anforderungen oder Bedingungen, denen dieses Recht unterliegt, von den Steuerpflichtigen, die es ausüben wollen, eingehalten werden.
b) Zweck der vollständigen Entlastung von der MwSt
Weiter weist der EuGH darauf hin, dass der Unternehmer insbesondere durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleiste folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten im Prinzip selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Nach Auffassung des EuGH sei es zudem für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung, ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet werde. Denn die Mehrwertsteuer werde auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben, abzgl. der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden seien.
Soweit nun die allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze des "gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts" aus Sicht des EuGH, die vor allem vom umsatzsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatz der geltenden Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug geprägt sind.
c) Aber Möglichkeit der Versagung bei betrügerischer oder missbräuchlicher Geltendmachung des Vorsteuerabzugs
Im nächsten Schritt kommt der EuGH zur Betrugsbekämpfung und führt dazu aus, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen allerdings ein Ziel sei, das von der MwStSystRL anerkannt und gefördert werde, weshalb eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt sei. Die nationalen Behörden und Gerichte hätten daher das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststehe, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht werde. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei nicht nur zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Hinterziehung begehe, sondern auch, wenn feststehe, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienten, wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilgenommen habe, der in eine Hinterziehung der Umsatzsteuer einbezogen gewesen sei. Für die Zwecke der MwStSystRL gelte, dass ein solcher Steuerpflichtiger sich an der Hinterziehung beteilige oder sie begünstige, und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen seiner besteuerten Ausgangsumsätze aus dem Weiterverkauf der Gegenstände oder der Verwendung der Dienstleistungen einen Gewinn erziele.