Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 24.11.2022 – C-596/21
[Ohne Titel]
RiFG Dr. Martin Kemper
Der EuGH hat mit der Entscheidung C-596/21 auf einen Vorlagebeschluss des FG Nürnberg hin eine weitere Frage im Zusammenhang mit der Auslegung der Art. 167 und 168 der MwStSystRL im Licht des (unionsrechtlichen) Grundsatzes des Verbots von Betrug beantwortet. Der Beitrag ordnet die Entscheidung im Kontext der bisherigen Rechtsprechung ein und beschreibt in Kürze die Herleitung der Rechtsfolge des Urteils.
1. Auslegung der Art. 167 und 168 MwStSystRL – Vorlagefrage des FG Nürnberg
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit dieser Entscheidung auf einen Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Nürnberg (FG) hin eine weitere Frage im Zusammenhang mit der Auslegung der Art. 167 und 168 der MwStSystRL im Licht des (unionsrechtlichen) Grundsatzes des Verbots von Betrug beantwortet. Das "vorlegende" FG wollte dabei vor allem wissen, ob im Falle einer Rechtsversagung (hier des Vorsteuerabzugs) nach der sog. Betrugs- und Missbrauchsrechtsprechung des EuGH wegen Wissen oder Wissen-Müssen der Beteiligung an einem Betrug, die Rechtsversagung der Höhe nach auf den Steuerschaden des Fiskus beschränkt werden muss; im Ausgangsrechtsstreit des FG war der dem Staat letztlich entstandene Steuerschaden geringer als die dem dortigen Kläger zu versagende Vorsteuer. Die Antwort des EuGH zu dieser Frage war m.E. wenig überraschend und lässt sich vereinfacht gesagt wie folgt beschreiben: "Der betrügerisch gesinnte Unternehmer kann sich in keiner Hinsicht auf die durch die MwStSystRL gewährten Vorteile berufen." Ein Steuerpflichtiger kann demnach bei einem bei ihm – oder einem Dritten – festgestellten Betrug oder Missbrauch gar keinen Vorsteuerabzug z.B. aus einer konkreten – vom Betrug irgendwie betroffenen – Eingangsleistung geltend machen. Dabei soll es sich nach der Auffassung des EuGH nicht um eine Sanktion, sondern um das Fehlen einer Anwendungsvoraussetzung des Unionsrecht handeln; die Anwendung der Rechte aus der MwStSystRL steht sozusagen unter der Prämisse des redlichen Handelns der Beteiligten.
2. Herleitung der Rechtsfolge
a) Bei Vorliegen aller Anforderungen grds. keine Einschränkung des Vorsteuerabzugsrechts
Zum Verständnis dieser (gefestigten) Rechtsansicht des EuGH – und vor allem deren Konsequenzen für die deutsche Rechtspraxis – empfiehlt sich ein Blick in die Entscheidungsgründe des Besprechungsfalls in deren Rz. 21 bis 26, in denen der EuGH die o.g. Rechtsfolge unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung sozusagen herleitet.
So weist der EuGH zunächst darauf hin, dass das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie für eine steuerbare Tätigkeit erworben oder empfangen haben, als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstelle. Das in den Art. 167 ff. MwStSystRL vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug sei somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und könne grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, sofern die materiellen wie auch die formellen Anforderungen oder Bedingungen, denen dieses Recht unterliegt, von den Steuerpflichtigen, die es ausüben wollen, eingehalten werden.
b) Zweck der vollständigen Entlastung von der MwSt
Weiter weist der EuGH darauf hin, dass der Unternehmer insbesondere durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleiste folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten im Prinzip selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Nach Auffassung des EuG...