Entscheidungsstichwort (Thema)
Kleinunternehmerregelung. Gesamtumsatzbetrag. Überschreiten der Gesamtumsatzgrenze aufgrund der Einheitlichkeit eines Liefergeschäfts
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 282-286, 288-291, 291
Beteiligte
Valstybinė mokesˇių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos |
Verfahrensgang
Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Litauen) (Beschluss vom 11.04.2018; ABl. EU 2018, Nr. C 276/16) |
Tenor
Die Art. 282 bis 292 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass dann, wenn eine Lieferung zugunsten eines einzigen Käufers zwei unbewegliche Gegenstände umfasst, die ihrer Natur nach miteinander verbunden sind und unter einen einzigen Verkaufsvertrag fallen, und die Jahresumsatzgrenze, die für die Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Sonderregelung für Kleinunternehmen zugrunde zu legen ist, überschritten wird, der Steuerpflichtige die Steuer auf der Grundlage des Werts der gesamten in Rede stehenden Lieferung – d. h. unter Zugrundelegung des Werts der beiden von dieser Lieferung umfassten Gegenstände – zu entrichten hat, auch wenn die Jahresumsatzgrenze bei Zugrundelegung des Werts eines dieser Gegenstände nicht überschritten würde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 11. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 17. April 2018, in dem Verfahren
Valstybinė mokesˇių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos
gegen
Akvilė Jarmuškienė,
Beteiligte:
Vilniaus apskrities valstybinė mokesˇių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der litauischen Regierung, vertreten durch R. Krasuckaitė und V. Vasiliauskienė als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 282 bis 292 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Valstybinė mokesˇių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (Staatliche Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen, im Folgenden: staatliche Steuerinspektion) und Frau Akvilė Jarmuškienė wegen der Weigerung, ihr im Rahmen eines die Lieferung eines Hauses und des Grundstücks, auf dem es errichtet ist, betreffenden wirtschaftlichen Umsatzes eine Mehrwertsteuerbefreiung zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach dem 49. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie sollte den Mitgliedstaaten „[i]n Bezug auf Kleinunternehmen … gestattet werden, ihre Sonderregelungen gemäß gemeinsamen Bestimmungen im Hinblick auf eine weiter gehende Harmonisierung beizubehalten”.
Rz. 4
Kapitel 1 („Lieferung von Gegenständen”) von Titel IV („Steuerbarer Umsatz”) der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält Art. 14. Dieser Artikel sieht in Abs. 1 vor, dass als „Lieferung von Gegenständen” die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
Rz. 5
In Abschnitt 2 („Steuerbefreiungen und degressive Steuerermäßigungen” von Kapitel 1 („Sonderregelung für Kleinunternehmen”) von Titel XII („Sonderregelungen”) der Mehrwertsteuerrichtlinie sind die Art. 282 bis 292 enthalten.
Rz. 6
Gemäß Art. 282 der Mehrwertsteuerrichtlinie gelten die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen nach diesem Abschnitt für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen, die von Kleinunternehmen bewirkt werden (im Folgenden: Sonderregelung für Kleinunternehmen).
Rz. 7
In Art. 287 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Mitgliedstaaten, die nach dem 1. Januar 1978 beigetreten sind, können Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung gewähren, wenn ihr Jahresumsatz den in Landeswährung ausgedrückten Gegenwert der folgenden Beträge nicht übersteigt, wobei der Umrechnungskurs am Tag des Beitritts zugrunde zu legen ist:
…
11. Litauen: 29 000 [Euro];
…”
Rz. 8
Art. 288 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der Umsatz, der bei der Anwendung der Regelung dieses Abschnitts zugrunde zu legen ist, setzt sich aus folgenden Beträgen ohne Mehrwertsteuer zusammen:
- Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, soweit diese besteuert werden;
- Betrag der gemäß Artikel 110, Artikel 11...