Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtlicher Schutz von Computerprogrammen. Vermarktung gebrauchter Lizenzen für Computerprogramme durch Herunterladen aus dem Internet. Richtlinie 2009/24/EG. Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1. Erschöpfung des Verbreitungsrechts. Begriff ‚rechtmäßiger Erwerber’
Beteiligte
Oracle International Corp |
Tenor
1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen ist dahin auszulegen, dass das Recht auf die Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms erschöpft ist, wenn der Inhaber des Urheberrechts, der dem möglicherweise auch gebührenfreien Herunterladen dieser Kopie aus dem Internet auf einen Datenträger zugestimmt hat, gegen Zahlung eines Entgelts, das es ihm ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie des ihm gehörenden Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen, auch ein Recht, diese Kopie ohne zeitliche Begrenzung zu nutzen, eingeräumt hat.
2. Die Art. 4 Abs. 2 und 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 sind dahin auszulegen, dass sich der zweite und jeder weitere Erwerber einer Nutzungslizenz auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie berufen können und somit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie als rechtmäßige Erwerber einer Programmkopie anzusehen sind, die vom Vervielfältigungsrecht nach dieser Vorschrift Gebrauch machen dürfen, wenn der Weiterverkauf dieser Lizenz mit dem Weiterverkauf einer von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers heruntergeladenen Programmkopie verbunden ist und die Lizenz dem Ersterwerber ursprünglich vom Rechtsinhaber ohne zeitliche Begrenzung und gegen Zahlung eines Entgelts überlassen wurde, das es diesem ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie seines Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 14. März 2011, in dem Verfahren
UsedSoft GmbH
gegen
Oracle International Corp.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts (Berichterstatter) und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter K. Schiemann, E. Juhász, A. Borg Barthet, D. Šváby und der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der UsedSoft GmbH, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin B. Ackermann und Rechtsanwalt A. Meisterernst,
- der Oracle International Corp., Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Heydn und U. Hornung,
- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten,
- der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch J. Gstalter als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und F. W. Bulst als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. April 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. L 111, S. 16).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der UsedSoft GmbH (im Folgenden: UsedSoft) und der Oracle International Corp. (im Folgenden: Oracle) über die Vermarktung gebrauchter Lizenzen für Computerprogramme von Oracle durch UsedSoft.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag (im Folgenden: Urheberrechtsvertrag) an. Dieser Vertrag wurde durch den Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.
Rz. 4
Art. 4 („Computerprogramme”) des Urheberrechtsvertrags lautet:
„Computerprogramme sind als Werke der Literatur im Sinne von Artikel 2 der Berner Übereinkunft geschützt. Dieser Schutz gilt für Computerprogramme unabhängig von der Art und Form ihres Ausdrucks.”
Rz. 5
Art. 6 („Verbreitungsrecht”) des Urheberrechtsvertrags bestimmt:
„(1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
(2) Dieser Vertrag berührt nicht die Freiheit der Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich das Recht nach Absatz 1 nach dem...