Entscheidungsstichwort (Thema)
Entnahme einer Warenprobe/Warenmuster, Möglichkeit der Anfechtung der Repräsentativität bei Aufforderung zur Zahlung von Eingangsabgaben
Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinie 79/695/EWG des Rates vom 24. Juli 1979 zur Harmonisierung der Verfahren für die Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr, die Richtlinie 82/57/EWG der Kommission vom 17. Dezember 1981 zur Festlegung bestimmter Durchführungsvorschriften zu der Richtlinie 79/695 in der durch die Richtlinie 83/371/EWG der Kommission vom 14. Juli 1983 geänderten Fassung und die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften sind dahin auszulegen, dass ein Zollanmelder oder sein Vertreter, der bei der Entnahme eines Musters oder einer Probe eingeführter Waren durch die Zollbehörden anwesend war, ohne geltend zu machen, dass dieses Muster oder diese Probe nicht repräsentativ sei, deren Repräsentativität bestreiten kann, wenn er von den Zollbehörden aufgrund der von ihnen durchgeführten Analysen dieses Musters oder dieser Probe aufgefordert wird, zusätzliche Eingangsabgaben zu zahlen, sofern die betreffenden Waren noch nicht freigegeben wurden oder, wenn sie freigegeben wurden, in keiner Weise verändert wurden, was der Anmelder nachzuweisen hat.
Normenkette
EWGRL 695/79; EWGV 2913/92
Beteiligte
Receveur principal des Douanes francaises Villepinte |
Verfahrensgang
Cour de Cassation (Urteil vom 17.07.2001) |
Tatbestand
"Freier Warenverkehr - Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr - Entnahme eines Musters oder einer Probe - Möglichkeit, die Repräsentativität dieses Musters oder dieser Probe zu bestreiten"
In der Rechtssache C-290/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG von der französischen Cour de cassation in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit
Receveur principal des douanes Villepinte
gegen
Derudder & Cie SA,
Beteiligte:
Tang Frères,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 70 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L302, S.1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer),
unter Mitwirkung des Richters C.W.A.Timmermans (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter A.La Pergola und S.von Bahr,
Generalanwalt: F.G.Jacobs, Kanzler: H.A.Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-
der Firma Tang Frères, vertreten durch J.-P. Spitzer, avocat,
-
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A.Colomb als Bevollmächtigte,
-
der italienischen Regierung, vertreten durch I.M. Braguglia, avvocato dello Stato,
-
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R.Tricot als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der französischen Regierung, vertreten durch A.Colomb, und der Kommission, vertreten durch X.Lewis als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 5. Februar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. April 2003,
folgendes
Urteil
1
Die Cour de cassation hat mit Urteil vom 17. Juli 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Juli 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 70 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L302, S.1, im Folgenden: Zollkodex der Gemeinschaften) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Zollanmelderin Derudder & Cie SA (im Folgenden: Derudder) und dem Receveur principal des douanes Villepinte (Leiter des Zollamts Villepinte) (Frankreich) hinsichtlich eines Beitreibungsbescheids, mit dem Letzterer nach einer Analyse von Proben von eingeführtem Reis die Zahlung zusätzlicher Einfuhrabgaben auf diese Ware in Höhe von 467045 FRF verlangte.
Rechtlicher Rahmen
Vor dem Inkrafttreten des Zollkodex der Gemeinschaften anwendbare Vorschriften
3
Artikel 9 der Richtlinie 79/695/EWG des Rates vom 24. Juli 1979 zur Harmonisierung der Verfahren für die Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr (ABl. L205, S.19) bestimmt:
"(1) Unbeschadet anderer ihr zur Verfügung stehender Prüfungsmöglichkeiten kann die Zollstelle die angemeldeten Waren ganz oder teilweise beschauen.
…
(4) Der Anmelder ist berechtigt, bei der Zollbeschau anwesend zu sein oder sich vertreten zu lassen. Die Zollstelle kann, wenn sie es für zweckdienlich hält, vom Anmelder verlangen, dass er bei der Zollbeschau anwesend ist oder sich vertreten lässt, um ihr die zur Erleichterung der Zollbeschau erforderliche Unterstützung zu gewähren.
(5) Die Zollstelle kann bei der Zollbeschau Muster oder Proben zum Zweck einer Analyse oder eingehenden Prüfung entnehmen. Die durch die Prüfung oder Analyse entstehenden Kosten trägt die Verwaltung."
4
Artikel 10 der Richtlinie ...