Entscheidungsstichwort (Thema)
EWR-Abkommen, Steuerpflicht der von gebietsfremden Banken gezahlte Zinsen, Steuerbefreiung der von Inlandsbanken gezahlten Zinsen
Leitsatz (amtlich)
1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV und Art. 36 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass es eine Regelung eingeführt und beibehalten hat, die für von gebietsfremden Banken gezahlte Zinsen eine insofern diskriminierende Besteuerung vorsieht, als eine Steuerbefreiung ausschließlich auf von gebietsansässigen Banken gezahlte Zinsen Anwendung findet.
2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten.
Normenkette
AEUV Art. 56; EWR-Abkommen Art. 36
Beteiligte
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Art. 56 AEUV und 63 AEUV ‐ Art. 36 und 40 EWR-Abkommen ‐ Steuerrecht ‐ Steuerbefreiung, die auf von gebietsansässigen Banken gezahlte Zinsen anwendbar ist, nicht jedoch auf von gebietsfremden Banken gezahlte Zinsen“
In der Rechtssache C-383/10
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 30. Juli 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal und F. Dintilhac als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Belgien, vertreten durch J.-C. Halleux und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Borg Barthet in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie des Richters J.-J. Kasel und der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich
Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 56 AEUV und 63 AEUV sowie den Art. 36 und 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass es eine Regelung eingeführt und beibehalten hat, die für von gebietsfremden Banken gezahlte Zinsen eine insofern diskriminierende Besteuerung vorsieht, als eine Steuerbefreiung ausschließlich auf von belgischen Banken gezahlte Zinsen Anwendung findet.
Belgisches Recht
Rz. 2
Art. 21 Ziff. 5 des Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch) 1992 (im Folgenden: CIR 1992) in der für den Besteuerungszeitraum 2010 (Einkommen des Jahres 2009) geltenden Fassung sieht vor:
„Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern umfassen nicht:
…
5. den ersten Teilbetrag von 1 730 [Euro] (Grundbetrag 1 250 [Euro]) pro Jahr der Einkünfte aus Spareinlagen, die in Belgien ansässige Kreditinstitute, die unter das Gesetz vom 22. März 1993 über den Status und die Kontrolle der Kreditinstitute fallen, ohne vertraglich festgelegte Laufzeit oder Abhebungs- beziehungsweise Entnahmevorankündigungsfrist entgegennehmen, wobei
‐ diese Einlagen außerdem die vom König auf Stellungnahme der Kommission für das Bank-, Finanz- und Versicherungswesen … festgelegten Kriterien in Bezug auf die Währung, auf die sie lauten, in Bezug auf Bedingungen und Modalitäten der Abhebungen und Entnahmen und in Bezug auf Struktur, Niveau und Modalitäten der Berechnung ihrer Vergütung erfüllen müssen,
‐ für die Anwendung der vorliegenden Bestimmung Fristen, die eine einfache Schutzmaßnahme darstellen, die der Verwahrer ergreifen kann, nicht als Vorankündigungsfristen betrachtet werden.“
Rz. 3
Art. 313 CIR 1992 sieht den Grundsatz des befreienden Mobiliensteuervorabzugs vor:
„Steuerpflichtige, die der Steuer der natürlichen Personen unterliegen, sind nicht verpflichtet, in ihrer jährlichen Erklärung zu vorerwähnter Steuer Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern …, die Gegenstand des Mobiliensteuervorabzugs waren …, anzugeben.“
Rz. 4
Die Kriterien, denen Spareinlagen im Sinne von Art. 21 Ziff. 5 CIR 1992 darüber hinaus entsprechen müssen, damit diese Bestimmung auf sie Anwendung findet, sind in der Königlichen Verordnung vom 27. August 1993 zur Durchführung des Code des impôts sur les revenus 1992 in der durch die Königliche Verordnung vom 7. Dezember 2008 (Moniteur belge vom 22. Dezember 2008, S. 67513) geänderten Fassung vorgesehen.
Vorverfahren
Rz. 5
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2006 wies die Kommission die belgischen Behörden auf die Verpflichtungen aus den Art. 49 EG und 56 EG (jetzt Art. 56 AEUV und 63 AEUV) sowie den Art. 36 und 40 EWR-Abkommen und die Notwendigkeit ihrer Einhaltung hin.
Rz. 6
Mit Schreiben vom 27. Februar 2007 antworteten die belgischen Behörden auf dieses Mahnschreiben und machten geltend, dass die Erwägungen der Kommission zu Art. 63 AEUV auf einer unzutreffenden Annahme beruhten und die zu Art. 56 AEUV auf einer Verkennung des Zwecks der streitigen Maßnahme, die, wenn sie auf Sp...