Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Verweigerung des Anspruchs einer in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person auf eine Steuergutschrift für Dividenden, die von einer Auslands-Aktiengesellschaft gezahlt werden
Leitsatz (amtlich)
Die Artikel 56 EG und 58 EG stehen einer Regelung entgegen, wonach der Anspruch einer in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Person auf eine Steuergutschrift für die Dividenden, die ihr von Aktiengesellschaften gezahlt werden, ausgeschlossen ist, wenn die betreffenden Gesellschaften ihren Sitz nicht in diesem Staat haben.
Normenkette
EGVtr Art. 56, 58
Beteiligte
Verfahrensgang
KHO (Finnland) (Entscheidung vom 10.09.2002) |
Tatbestand
„Einkommensteuer ‐ Steuergutschrift für von finnischen Gesellschaften gezahlte Dividenden ‐ Artikel 56 EG und 58 EG ‐ Kohärenz des Steuersystems„
In der Rechtssache C-319/02
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,
eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 10. September 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 12. September 2002, in dem Verfahren, das eingeleitet worden ist auf Betreiben von
Petri Manninen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, C. Gulmann, J.-P. Puissochet und J. N. Cunha Rodrigues, des Richters R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr und K. Lenaerts (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐
des Herrn Manninen, der sich selbst vertritt,
‐
der finnischen Regierung, vertreten durch E. Bygglin und T. Pynnä als Bevollmächtigte,
‐
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und D. Petrausch als Bevollmächtigte,
‐
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Manji als Bevollmächtigten im Beistand von M. Hoskins, Barrister,
‐
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und I. Koskinen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 18. März 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 56 EG und 58 EG.
2
Dieses Ersuchen ergeht in einem auf Betreiben von Herrn Manninen eingeleiteten Verfahren beim Korkein hallinto-oikeus, in dem dieser die Vereinbarkeit der finnischen Steuerregelung in Bezug auf die Besteuerung der Dividenden (im Folgenden: finnische Steuerregelung) mit dem Gemeinschaftsrecht in Frage gestellt hat.
Rechtlicher Rahmen
Das Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 56 Absatz 1 EG lautet:
„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.”
4
Artikel 58 Absatz 1 EG bestimmt:
„Artikel 56 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,
a)
die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln,
b)
die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts …, zu verhindern …„
5
Artikel 58 Absatz 3 EG lautet:
„Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 56 darstellen.„
Das finnische Recht
6
Nach § 32 des Tuloverolaki (Einkommensteuergesetz) (1535/1992) sind Dividenden, die eine in Finnland unbeschränkt steuerpflichtige Person von einer finnischen oder einer ausländischen Gesellschaft, deren Aktien an der Börse notiert werden, bezieht, als Kapitaleinkünfte steuerbar.
7
Nach § 124 des Tuloverolaki (in der durch das Gesetz 1459/2001 geänderten Fassung) unterliegen Kapitaleinkünfte einem Steuersatz von 29 %.
8
Die Gewinne von Gesellschaften mit Sitz in Finnland werden ebenfalls zu einem Satz von 29 % besteuert. Um eine Doppelbesteuerung dieser Einkünfte im Zusammenhang mit der Dividendenausschüttung zu verhindern, gewährt § 4 Absatz 1 des Laki yhtiöveron hyvityksestä (Gesetz über die Steuergutschrift) (1232/1988) in der durch das Gesetz 1224/1999 geänderten Fassung den Aktionären eine Steuergutschrift in Höhe von 29/71 des Betrages der Dividenden, die sie im jeweiligen Steuerjahr bezogen haben.
9
Nach § 4 Absatz 2 des Gesetzes über die Steuergutschrift in der durch das Gesetz 1224/1999 geänderten Fassung sind die Dividende und die Steuergutschrift steuerbare Einkünfte des Aktionärs. Die Gewährung der Steuergutschrift bewirkt, dass sich die Gesamtsteuer für einen von einer Gesellschaft, deren Aktien an der Börse notiert werden, ausgeschütteten Gewi...