Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Dienstleistung, Live-Webcam-Darbietungen, Erotische Internet-Darbietungen, Unterhaltende Tätigkeit, Elektronische Dienstleistung
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 9 Abs. 2 Buchst. c erster Gedankenstrich, Buchst. e zwölfter Gedankenstrich; EGRL 112/2006 Art. 52 Buchst. a, Art. 56 Abs. 1 Buchst. k; EGV 1777/2005 Art. 11
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 22.09.2017; ABl. EU 2017, Nr. C 424/23) |
Tenor
1. Art. 9 Abs. 2 Buchst. c erster Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 geänderten Fassung und Art. 52 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass eine komplexe Dienstleistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in der Bereitstellung interaktiver erotischer Live-Webcam-Darbietungen besteht, eine „Tätigkeit auf dem Gebiet der Unterhaltung” im Sinne dieser Vorschriften darstellt, die an dem Ort im Sinne dieser Vorschriften „tatsächlich bewirkt” wird, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten oder eine feste Niederlassung hat, von der aus diese Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung an seinem Wohnsitz oder seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort.
2. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zwölfter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2002/38 geänderten Fassung und Art. 56 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates vom 17. Oktober 2005 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388 sind dahin auszulegen, dass eine Dienstleistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, interaktive erotische Live-Webcam-Darbietungen anzubieten, nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fällt, wenn diese Dienstleistung ausnahmslos an Empfänger erbracht worden ist, die sich im Mitgliedstaat des Dienstleistenden befinden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 22. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2017, in dem Verfahren
Staatssecretaris van Financiën
gegen
L. W. Geelen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, E. Regan (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. S. Schillemans, M. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und A. Alidière als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Februar 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c erster Gedankenstrich und Buchst. e zwölfter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 (ABl. 2002, L 128, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie), von Art. 52 Buchst. a und Art. 56 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie von Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates vom 17. Oktober 2005 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388 (ABl. 2005, L 288, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) und Herrn L. W. Geelen wegen der Zahlung von Mehrwertsteuer für die Leistung interaktiver erotischer Live-Webcam-Darbietungen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Die Sechste Richtlinie
Rz. 3
Der siebte Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie lautet:
„Die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes hat insbesonder...