Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Zollkodex der Union. Rechtsbehelfe. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Zollschmuggel. Vermögensgegenstände eines Dritten, die im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens eingezogen worden sind. Nationale Regeln, die diesen Dritten aus der Kategorie der Personen ausschließt, die zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung über eine verwaltungsrechtliche Sanktion, mit der die Einziehung angeordnet wurde, berechtigt sind
Normenkette
EUV 952/2013 Art. 44; Rahmenbeschluss 2005/212/JI
Beteiligte
Otdel Mitnichesko razsledvane i razuznavane |
Otdel Mitnichesko razsledvane i razuznavane/MRR/ v TD Mitnitsa Burgas |
Verfahrensgang
Administrativen sad – Haskovo (Bulgarien) (Beschluss vom 17.11.2021; ABl. EU 2022 Nr. C 109/15) |
Tenor
1. Art. 44 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, die kein Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über eine verwaltungsrechtliche Sanktion für eine Person vorsieht, deren Vermögensgegenstände aufgrund einer solchen Entscheidung eingezogen worden sind, die aber in dieser Entscheidung nicht als die Person angesehen wird, die die Zuwiderhandlung, mit der die verhängte Verwaltungssanktion in Zusammenhang steht, begangen hat.
2. Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten
ist dahin auszulegen, dass
er auf eine Entscheidung, die eine Handlung betrifft, die keine Straftat darstellt, nicht anwendbar ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Haskovo (Verwaltungsgericht Haskovo, Bulgarien) mit Entscheidung vom 17. November 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2021, in dem Verfahren
JP EOOD
gegen
Otdel „Mitnichesko razsledvane i razuznavane”/MRR/ v TD „Mitnitsa Burgas”,
Beteiligte:
Okrazhna prokuratura – Haskovo,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Moro und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 Abs. 7, Art. 29 und Art. 44 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1) (im Folgenden: Zollkodex der Union), von Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen (ABl. 2005, L 68, S. 49) und von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der JP EOOD, einer Handelsgesellschaft bulgarischen Rechts, und dem Otdel „Mitnichesko razsledvane i razuznavane” /MRR/ v TD „Mitnitsa Burgas” (Abteilung der Zolldirektion Burgas, Bulgarien) wegen deren Entscheidung über die Einziehung eines JP gehörenden, für den Warenschmuggel verwendeten Transportfahrzeugs zugunsten des bulgarischen Staates.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rahmenbeschluss 2005/212
Rz. 3
Der erste Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2005/212 lautet:
„Das Hauptmotiv für grenzüberschreitende organisierte Kriminalität ist wirtschaftlicher Gewinn. Im Rahmen einer effizienten Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität muss der Schwerpunkt daher auf die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten gelegt werden. Dies wird jedoch unter anderem durch Unterschiede zwischen den diesbezüglichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erschwert.”
Rz. 4
Art. 1 („Begriffsbestimmungen”) des Rahmenbeschlusses bestimmt im vierten Gedankenstrich:
„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck
…
- ‚Einziehung’ eine Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht im Anschluss an ein eine Straftat oder mehrere Straftaten betreffendes Verfahren angeordnet wurde und die zur endgültigen Einziehung von Vermögensgegenständen führt”.
Rz. 5
Art. 2 („Einziehung”) dieses Rahmenbeschlusses sieht vor:
„(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden können.
…”
Rz. 6
Art. 4 („Rechtsmittel”) des Ra...