Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung; Heilbehandlung; Einrichtung der medizinischen Grundversorgung; Thermalkur; Anamneseblatt für eine Thermalkur

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. b

 

Beteiligte

Termas Sulfurosas de Alcafache

Autoridade Tributária e Aduaneira

Termas Sulfurosas de Alcafache SA

 

Verfahrensgang

Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Beschluss vom 01.07.2020; ABl. EU 2021, Nr. C 19/17)

 

Tenor

Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Umsatz, der im Anlegen eines individuellen, ein Anamneseblatt umfassenden Datenblatts besteht, das zum Erwerb ärztlicher Heilbehandlungen mit „Klassischen Thermalkuren” in einer Kureinrichtung berechtigt, als mit ärztlichen Heilbehandlungen eng verbundener Umsatz unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen kann, sofern diese Datenblätter Angaben zum Gesundheitszustand und zu den verordneten und geplanten ärztlichen Behandlungen sowie zu deren Anwendungsmodalitäten enthalten und die Abfrage dieser Daten für die Erbringung dieser Behandlungen und zur Erreichung der verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich ist. Zudem müssen diese ärztlichen Heilbehandlungen sowie die damit eng verbundenen Umsätze unter Bedingungen durchgeführt bzw. bewirkt werden, die in sozialer Hinsicht mit denen vergleichbar sind, die für Einrichtungen des öffentlichen Rechts, ein Zentrum für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder eine andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b gelten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 1. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Oktober 2020, in dem Verfahren

Autoridade Tributária e Aduaneira

gegen

Termas Sulfurosas de Alcafache SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Sechsten Kammer I. Ziemele (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Siebten Kammer sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und B. Rechena als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal, im Folgenden: Finanzverwaltung) und der Termas Sulfurosas de Alcafache SA (im Folgenden: Termas Sulfurosas) wegen der Mehrwertsteuerbefreiung der für die Thermalregistrierung vereinnahmten Beträge.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist der einzige Artikel in Titel IX („Steuerbefreiungen”) Kapitel 1 („Allgemeine Bestimmungen”) dieser Richtlinie. Dieser Artikel lautet:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.”

Rz. 4

Art. 132 Abs. 1 Buchst. b in Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten”) dieses Titels IX sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

b) Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;

…”

Rz. 5

Art. 134 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, 1, m und n ausgeschlossen:

  1. sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;
  2. sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.”

Portugiesisches Recht

Rz. 6

Nach Art. 9 Nr. 2 des Código do Imposto so...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?