Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug einer Publikumsgesellschaft, Ausgabe von Aktien und atypisch stillen Beteiligungen, Aufteilung des Vorsteuerabzugs bei teilweiser nichtunternehmerischer Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger zugleich steuerpflichtigen oder steuerfreien wirtschaftlichen Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen, nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage fallenden Tätigkeiten nachgeht, ist der Abzug der Vorsteuer auf Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien und atypischen stillen Beteiligungen nur insoweit zulässig, als diese Aufwendungen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie zuzurechnen sind.
2. Die Festlegung der Methoden und Kriterien zur Aufteilung der Vorsteuerbeträge zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie 77/388 steht im Ermessen der Mitgliedstaaten, die bei der Ausübung ihres Ermessens Zweck und Systematik dieser Richtlinie berücksichtigen und daher eine Berechnungsweise vorsehen müssen, die objektiv widerspiegelt, welcher Teil der Eingangsaufwendungen jeder dieser beiden Tätigkeiten tatsächlich zuzurechnen ist.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 17, 2 Nr. 1
Beteiligte
Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Steuerpflichtiger, der zugleich steuerpflichtigen oder steuerfreien wirtschaftlichen Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht ‐ Vorsteuerabzugsrecht ‐ Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien und atypischen stillen Beteiligungen ‐ Aufteilung der Vorsteuer je nachdem, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt oder nicht ‐ Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs“
In der Rechtssache C-437/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Oktober 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Oktober 2006, in dem Verfahren
Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG
gegen
Finanzamt Göttingen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Juhász, J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG, vertreten durch Rechtsanwalt R. Jouvenal,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und R. Laires als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Bryanston-Cross als Bevollmächtigte im Beistand von P. Harris, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Dezember 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG (im Folgenden: Securenta) und dem Finanzamt Göttingen (im Folgenden: Finanzamt) über den Umfang des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 2 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
…“
4
Art. 4 der Sechsten Richtlinie führt folgende Definitionen auf:
„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen...