Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögen von Trusts, Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse, Verlegung des Wohnsitzes des Treuhänders in anderen Mitgliedstaat, Steuer auf Kapitalgewinne von Trusts
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit stehen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem die Treuhänder nach dem nationalen Recht als einheitliche und fortdauernde Personengesamtheit behandelt werden, die sich von den Personen unterscheidet, die die Treuhänderfunktion zeitweilig ausüben, Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie denen des Ausgangsverfahrens entgegen, die die Besteuerung von nicht realisierten Wertzuwächsen beim Vermögen des Trusts vorsehen, wenn die Mehrzahl der Treuhänder ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, und keine aufgeschobene Einziehung der geschuldeten Steuer zulassen.
Normenkette
AEUV
Beteiligte
Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements |
Commissioners for HM Revenue and Customs |
Verfahrensgang
First-Tier Tribunal (Tax) (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 30.11.2015; Abl.EU 2016, Nr. C 48/22) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Direkte Besteuerung ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Freier Dienstleistungsverkehr ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Trust ‐ Treuhänder ‐ Sonstige juristische Personen ‐ Begriff ‐ Steuer auf die Wertzuwächse beim Vermögen eines Trusts wegen der Verlegung der Steueransässigkeit von Treuhändern in einen anderen Mitgliedstaat ‐ Bestimmung des Steuerbetrags zum Zeitpunkt dieser Verlegung ‐ Sofortige Einziehung der Steuer ‐ Rechtfertigung ‐ Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C-646/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz, Steuerkammer, Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 30. November 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2015, in dem Verfahren
Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements
gegen
Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements, vertreten durch M. Lemos, Barrister, und P. Baker, QC,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt, D. Robertson und S. Simmons als Bevollmächtigte im Beistand von R. Hill und J. Bremner, Barristers,
‐ der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
‐ der norwegischen Regierung, vertreten durch K. B. Moen, K. E. B. Kloster und J. T. Kaasin als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
‐ der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch C. Zatschler, Ø. Bø und A. Steinarsdóttir als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Dezember 2016
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49, 54, 56 und 63 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements (im Folgenden: Panayi-Treuhänder) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (im Folgenden: Steuerverwaltung) über die Besteuerung von nicht realisierten Wertzuwächsen beim Vermögen der Trusts anlässlich der Verlegung des Wohnsitzes der Treuhänder in einen anderen Mitgliedstaat als den Herkunftsmitgliedstaat.
Rechtlicher Rahmen im Vereinigten Königreich
Trusts
Rz. 3
Nach den dem Gerichtshof vorgelegten Akten bezeichnet der Begriff des Trusts (Treuhandschaft) in den Ländern des Common law grundsätzlich einen Dreiecksvorgang, bei dem der Gründer des Trusts (Treugeber) Vermögen an eine Person, den „trustee“ (Treuhänder), überträgt, damit diese sie zugunsten eines Dritten, des Begünstigten, der Treuhandurkunde entsprechend verwaltet. Die zugunsten bestimmter Personen gegründeten Trusts werden manchmal „settlements“ genannt.
Rz. 4
Der Trust ist dadurch gekennzeichnet, dass das Eigentum an dem Vermögen, das den Trust bildet, in juristisches und wirtschaftliches Eigentum aufgeteilt ist, das dem Treuhänder bzw. dem Begünstigten zukommt.
Rz. 5
Ein Trust ist zwar rechtlich anerkannt und erzeugt Rechtswirkungen, er hat aber keine Rechtspersönlichkeit und kann nur durch den Treuhänder handeln. So wird das Vermögen, das den Trust bildet, nicht Teil des Vermögens des Treuhänders. Der Treuhänder muss dieses Vermögen als Sondervermögen getrennt von seinem eigenen Vermögen verwalten. Die Hauptpflicht des Treuhänders besteht darin, die Bedingungen und Aufgaben, die in der Treuhandurkunde festgelegt wurden, zu erfüllen und die ...