Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung einer Ausfuhrerstattung, Verjährungsfristen, keine Verjährungsfrist bei Verschulden der nationalen Behörde
Leitsatz (amtlich)
Die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist nicht auf ein Verfahren zur Rückforderung einer Ausfuhrerstattung anzuwenden, die einem Ausführer durch Verschulden der nationalen Behörden zu Unrecht gewährt wurde, wenn der Ausführer keine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung begangen hat.
Normenkette
EGV 2988/95 Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Bayerische Hypotheken- und Vereinsbank |
Hauptzollamt Hamburg-Jonas |
Bayerische Hypotheken- und Vereinsbank AG |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 ‐ Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ‐ Art. 3 ‐ Rückforderung einer Ausfuhrerstattung ‐ Verschulden der nationalen Verwaltung ‐ Verjährungsfrist“
In der Rechtssache C-281/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2007, in dem Verfahren
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
gegen
Bayerische Hypotheken- und Vereinsbank AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-C. Bonichot, J. Makarczyk und P. Kũris sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Erlbacher und Z. Maluskova als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. September 2008
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) und der Bayerischen Hypotheken- und Vereinsbank AG (im Folgenden: BHV) wegen der Rückzahlung einer Ausfuhrerstattung.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 351, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2. Dezember 1994 (ABl. L 310, S. 57) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 3665/87) bestimmt:
„… wenn eine Erstattung unrechtmäßig gewährt wird, erstattet der Begünstigte unter Einbeziehung aller nach Absatz 1 erster Unterabsatz fälligen Sanktionen den unrechtmäßig erhaltenen Betrag zuzüglich Zinsen für die Zeit zwischen der Gewährung der Erstattung und ihrer Rückerstattung.
…
Erfolgt die unrechtmäßige Zahlung durch Verschulden der zuständigen Behörde, so fallen keine Zinsen an. Allenfalls wird ein vom Mitgliedstaat nach Maßgabe des unrechtmäßig erzielten Vorteils festzulegender Betrag erhoben.“
4
Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 lautet:
„(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.
(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“
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Art. 3 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:
„(1) Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
…
(3) Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 … vorgesehene Frist anzuwenden.“
Nationales Recht
6
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts gab es in Deutschland im maßgeblichen Zeitraum keine Vorschrift, die die Verjährungsfristen bei verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten über zu Unrecht gewährte Vergünstigungen speziell regelte. Die deutsche Verwaltung und die deutschen Gerichte wandten vielmehr die regelmäßige dreißi...