Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzweck-Gutschein
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 30a, 30b Abs. 1-2
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
1. Art. 30a und Art. 30b Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom 5. Dezember 2017 geänderten Fassung
sind wie folgt auszulegen:
Die Einstufung eines Gutscheins als „Einzweck-Gutschein” im Sinne von Art. 30a Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 in geänderter Fassung hängt nur von den in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen ab, wozu die Voraussetzung gehört, dass der Ort der Erbringung der Dienstleistung, die sich an Endverbraucher richtet und auf die sich dieser Gutschein bezieht, zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Gutscheins feststehen muss, und dies unabhängig davon, ob dieser Gutschein zwischen Steuerpflichtigen übertragen wird, die im eigenen Namen handeln und in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen ansässig sind, in dem sich diese Endverbraucher befinden.
2. Art. 30b Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2017/2455 geänderten Fassung
ist wie folgt auszulegen:
Der Weiterverkauf von „Mehrzweck-Gutscheinen” im Sinne von Art. 30a Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 in geänderter Fassung durch einen Steuerpflichtigen kann der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern er als Dienstleistung an den Steuerpflichtigen eingestuft wird, der als Gegenleistung für diese Gutscheine die Gegenstände tatsächlich dem Endverbraucher übergibt oder die Dienstleistungen tatsächlich dem Endverbraucher erbringt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2023, in dem Verfahren
M-GbR
gegen
Finanzamt O
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie des Richters S. Rodin und der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der M-GbR, vertreten durch Rechtsanwalt A. Kratzsch,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Behre und J. Jokubauskaite als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 30a und 30b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom 5. Dezember 2017 (ABl. 2017, L 348, S. 7) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der M-GbR, einer deutschen Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und dem Finanzamt O über die Einstufung und die Mehrwertsteuerpflichtigkeit des Vertriebs von Guthabenkarten oder Gutscheincodes, die für den Erwerb digitaler Inhalte in einem Online-Shop verwendet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1 bis 3 und 6 bis 10 der Richtlinie (EU) 2016/1065 des Rates vom 27. Juni 2016 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen (ABl. 2016, L 177, S. 9) lauten:
„(1) Die Richtlinie 2006/112/EG … regelt Zeitpunkt und Ort der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen, die Steuerbemessungsgrundlage, den Steueranspruch und das Recht auf Vorsteuerabzug. Diese Vorschriften sind jedoch nicht hinreichend klar oder umfassend, um eine einheitliche steuerliche Behandlung von Gutscheine betreffenden Umsätzen zu gewährleisten, so dass das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigt wird.
(2) Um eine bestimmte, einheitliche Behandlung zu gewährleisten, um den Grundsätzen einer allgemeinen, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionalen Verbrauchsteuer Rechnung zu tragen, um Inkohärenzen, Wettbewerbsverzerrungen, Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung zu vermeiden und die Gefahr von Steuerumgehung zu vermindern[,] werden für die mehrwertsteuerliche Behandlung von Gutscheinen spezielle Vorschriften benötigt.
(3) Angesichts der seit dem 1. Januar 2015 anwendbaren neuen Vorschriften über den Ort der Dienstleistung für Telekommunikations- und Rundfunkdienstleistungen sowie elektronisch erbrachte Dienstleistungen ist eine gemeinsame Lösung für Gutscheine erforderlich, um sicherzustellen, dass keine Diskrepanzen in Bezug auf zwischen den Mitgliedstaaten gelieferte Gutscheine entstehen. Dazu ist es unabdingbar, Vorschriften zur Klärung der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen festzulegen.
…
(6) Um eindeutig zu best...