Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerwesen. Freier Kapitalverkehr. Stempelsteuer. Kurzfristige Geldgeschäfte. Gebietsansässige und gebietsfremde Kreditnehmer. Unterschiedliche Behandlung. Beschränkung
Normenkette
AEUV Art. 63
Beteiligte
Faurécia – Assentos de Automóvel Lda |
Autoridade Tributária e Aduaneira |
Verfahrensgang
Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Beschluss vom 24.05.2023; ABl. EU C/2023/117, v. 16.10.2023) |
Tenor
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der kurzfristige Geldgeschäfte von der Stempelsteuer befreit sind, wenn an ihnen zwei in diesem Mitgliedstaat ansässige Unternehmen beteiligt sind, nicht jedoch, wenn der Kreditnehmer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 24. Mai 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2023, in dem Verfahren
Faurécia – Assentos de Automóvel Lda
gegen
Autoridade Tributária e Aduaneira
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Faurécia – Assentos de Automóvel Lda, vertreten durch M. D. Soares und S. Soares, Advogadas,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, H. Gomes Magno und A. Rodrigues als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Caro de Sousa und W. Roels als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 63 sowie von Art. 65 Abs. 3 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Faurécia – Assentos de Automóvel Lda (im Folgenden: Faurécia) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Erhebung einer Stempelsteuer auf kurzfristige Geldgeschäfte.
Portugiesisches Recht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 des Código do Imposto do Selo (Stempelsteuergesetz) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: CIS) lautet:
„Die Stempelsteuer wird auf alle in der [Tabela Geral do Imposto do Selo (Allgemeine Stempelsteuertabelle)] vorgesehenen Handlungen, Verträge, Dokumente, Titel, Schriftstücke und sonstigen Tatsachen oder rechtlichen Situationen erhoben, einschließlich der unentgeltlichen Übertragung von Vermögenswerten.”
Rz. 4
In Art. 7 Abs. 1 und 2 CIS heißt es:
„1. Von der Stempelsteuer sind ebenfalls befreit:
…
g) Finanzgeschäfte, einschließlich der entsprechenden Zinsen, mit einer Laufzeit von höchstens einem Jahr, sofern sie ausschließlich zur Deckung von Liquiditätsengpässen bestimmt sind und von Risikokapitalgesellschaften zugunsten von Gesellschaften getätigt werden, an denen sie Anteile halten, sowie, sofern diese Finanzgeschäfte von anderen Gesellschaften zugunsten von Gesellschaften getätigt werden, die von ihnen beherrscht werden, oder zugunsten von Gesellschaften, bei denen sie gemäß der letzten genehmigten Bilanz eine Beteiligung von mindestens 10 % des stimmberechtigten Kapitals oder eine Beteiligung mit einem Anschaffungswert von mindestens 5 000 000 Euro halten, und ferner, sofern diese Finanzgeschäfte zugunsten einer Gesellschaft getätigt werden, mit der ein Beherrschungs- oder Konzernverhältnis besteht;
…
2. Art. 7 Abs. 1 Buchst. g und h findet keine Anwendung, wenn einer der Beteiligten seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung nicht im Inland hat, es sei denn, der Gläubiger hat seinen Sitz oder seine tatsächliche Geschäftsleitung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, mit dem die Portugiesische Republik ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen geschlossen hat; in diesem Fall bleibt der Anspruch auf Steuerbefreiung bestehen, es sei denn, der Gläubiger hat zuvor die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. g und h vorgesehenen Finanzierungen durch Geschäfte mit im Ausland ansässigen Kreditinstituten oder Finanzunternehmen oder mit Niederlassungen oder Zweigstellen im Ausland von im Inland ansässigen Kreditinstituten oder Finanzunternehmen durchgeführt.”
Rz. 5
In Abschnitt 17 („Finanzgeschäfte”) der Allgemeinen Stempelsteuertabelle heißt es:
„17.1. Für die Nutzung des Kredits in Form von Barmitteln, Waren und anderen Werten, aufgrund der Kreditgewährung zu welchem Zweck auch immer, einschließlich der Forderungsabtretung, des Factorings und Geldgeschäften, wenn sie irgendeine Art der Finanzierung für den Zessionar, den Beitretenden oder den Schuldner umfassen, wobei die Verlängerung der Vertragsdauer stets als neue Kreditgewährung – bis ...