Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrlieferungen, gefälschte Ausfuhrbestätigung, Vertrauensschutz, Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns
Leitsatz (amtlich)
Art. 15 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 ist dahin auszulegen, dass er der von einem Mitgliedstaat vorgenommenen Mehrwertsteuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort außerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht entgegensteht, wenn zwar die Voraussetzungen für eine derartige Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige dies aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns infolge der Fälschung des vom Abnehmer vorgelegten Nachweises der Ausfuhr nicht erkennen konnte.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 15 Nr. 2
Beteiligte
Netto Supermarkt GmbH & Co. OHG |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 15 Nr. 2 ‐ Steuerbefreiung bei Ausfuhrlieferungen nach Orten außerhalb der Gemeinschaft ‐ Nicht erfüllte Voraussetzungen der Steuerbefreiung ‐ Vom Abnehmer gefälschte Ausfuhrnachweise ‐ Mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns handelnder Lieferer“
In der Rechtssache C-271/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2006, in dem Verfahren
Netto Supermarkt GmbH & Co. OHG
gegen
Finanzamt Malchin
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter G. Arestis, (Berichterstatter), E. Juhász, J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Netto Supermarkt GmbH & Co. OHG, vertreten durch V. Booten und J. Sprado, Rechtsanwälte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch E. Osniecka-Tamecka als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Oktober 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18; im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Netto Supermarkt GmbH & Co. OHG (im Folgenden: Netto Supermarkt) und dem Finanzamt Malchin (im Folgenden: Finanzamt) betreffend dessen Weigerung, Netto Supermarkt für die Jahre 1995 bis 1998 die Mehrwertsteuerbefreiung zuzuerkennen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 15 der Sechsten Richtlinie mit der Überschrift „Steuerbefreiungen bei Ausfuhren nach einem Drittland, gleichgestellten Umsätzen und grenzüberschreitenden Beförderungen“ lautet:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
2. Lieferungen von Gegenständen, die durch den nicht im Inland ansässigen Abnehmer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, mit Ausnahme der vom Abnehmer selbst beförderten Gegenstände zur Ausrüstung oder Versorgung von Sportbooten und Sportflugzeugen sowie von sonstigen Beförderungsmitteln, die privaten Zwecken dienen;
Erstreckt sich die Lieferung auf Gegenstände zur Mitführung im persönlichen Gepäck von Reisenden, so gilt diese Steuerbefreiung, wenn
‐ der Reisende nicht in der Gemeinschaft ansässig ist;
‐ die Gegenstände vor Ablauf des dritten auf die Lieferung folgenden Kalendermonats nach Orten außerhalb der Gemeinschaft befördert werden;
‐ der Gesamtwert der Lieferung einschließlich Mehrwertsteuer den Gegenwert von 175 [Euro] in Landeswährung übersteigt, der gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 69/169/EWG … festgelegt wurde; die Mitgliedstaaten können jedoch auch eine Lieferung, deren Gesamtwert niedriger als dieser Betrag ist, von der Steuer befreien.
Bei Anwendung des Unterabsatzes 2
‐ gilt als nicht in der Gemeinschaft ansässiger Reisender ein Reisender, dessen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt sich nicht in der Gemeinschaft befinde...