Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Anwendungsbereich. Begriffe ‚Verbraucher’ und ‚Gewerbetreibender’. Finanzierung des Erwerbs einer Hauptwohnung. Immobiliendarlehen, das ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer und dessen Ehepartner als weiterem Darlehensnehmer, der gesamtschuldnerisch haftet, gewährt
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 2 Buchst. b, c
Beteiligte
Électricité de France (EDF) |
Tenor
Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer eines Unternehmens und sein Ehepartner, die mit diesem Unternehmen einen in erster Linie den Mitarbeitern des Unternehmens vorbehaltenen Darlehensvertrag schließen, mit dem der Erwerb einer Immobilie zu privaten Zwecken finanziert werden soll, „Verbraucher” im Sinne dieser Bestimmung sind.
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass dieses Unternehmen „Gewerbetreibender” im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn es einen solchen Darlehensvertrag im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit schließt, auch wenn die Darlehensvergabe nicht seine Haupttätigkeit darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 2017, in dem Verfahren
Henri Pouvin,
Marie Dijoux, verheiratete Pouvin,
gegen
Électricité de France (EDF)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Pouvin und Frau Dijoux, verheiratete Pouvin, vertreten durch J. Buk Lament, avocate,
- der Électricité de France (EDF), vertreten durch E. Piwnica, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, J. Traband und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, D. Tsagkaraki, C. Fatourou und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und C. Valero als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. November 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Pouvin und Frau Marie Dijoux, verheiratete Pouvin, auf der einen Seite und der Électricité de France (EDF) auf der anderen Seite über einen Anspruch auf Zahlung von Beträgen, die im Rahmen eines Herrn und Frau Pouvin von EDF gewährten Immobiliendarlehens noch ausstehen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 9, 10 und 14 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Gemäß … sind … Käufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmissbrauch des Verkäufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einseitig festgelegten Standardverträgen und vor dem missbräuchlichen Ausschluss von Rechten in Verträgen zu schützen.
Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts.
…
[D]iese Richtlinie [gilt] auch für die gewerbliche Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Rahmen …”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.”
Rz. 5
Art. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:
…
b) Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;
c) Gewerbetreibender: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist.”
Französisches Recht
Rz. 6
Mit Art. L. 132-1 des Code de la consommation (Verbrauchergesetzbuch) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung wurde die Richtlinie 93/13 in französi...