Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Elektronische Kommunikation. Verarbeitung personenbezogener Daten. Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation. Schutz. Nationale Rechtsvorschriften. Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste. Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten. Nationale Behörden. Zugang zu den Daten. Keine vorherige Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde. Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
Normenkette
EGRL 58/2002 Art. 5-6, 9, 15 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7-8, 11, 52 Abs. 1
Beteiligte
Secretary of State for the Home Department |
Tenor
1. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht.
2. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Schutz und die Sicherheit der Verkehrs- und Standortdaten, insbesondere den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten zum Gegenstand hat, ohne im Rahmen der Bekämpfung von Straftaten diesen Zugang ausschließlich auf die Zwecke einer Bekämpfung schwerer Straftaten zu beschränken, ohne den Zugang einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde zu unterwerfen und ohne vorzusehen, dass die betreffenden Daten im Gebiet der Union auf Vorrat zu speichern sind.
3. Die zweite Vorlagefrage des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Abteilung für Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) ist unzulässig.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammarrätt i Stockholm (Oberverwaltungsgericht Stockholm, Schweden) und des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Abteilung für Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidungen vom 29. April 2015 bzw. 9. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Mai 2015 und am 28. Dezember 2015, in den Verfahren
Tele2 Sverige AB (C-203/15)
gegen
Post- och telestyrelsen
und
Secretary of State for the Home Department (C-698/15)
gegen
Tom Watson,
Peter Brice,
Geoffrey Lewis,
Beteiligte:
Open Rights Group,
Privacy International,
The Law Society of England and Wales,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça, E. Juhász und M. Vilaras sowie der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský, E. Levits, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, S. Rodin, F. Biltgen und C. Lycourgos,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Februar 2016, die Rechtssache C-698/15 dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. April 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Tele2 Sverige AB, vertreten durch M. Johansson und N. Torgerzon, advokater, sowie E. Lagerlöf und S. Backman,
- von Herrn Watson, vertreten durch J. Welch und E. Norton, Solicitors, I. Steele, advocate, B. Jaffey, Barrister, sowie durch D. Rose, QC,
- von Herrn Brice und Herrn Lewis, vertreten durch A. Suterwalla und R. de Mello, Barristers, R. Drabble, QC, sowie S. Luke, Solicitor,
- der Open Rights Group und Privacy International, vertreten durch D. Carey, Solicitor, sowie durch R. Mehta und J. Simor, Barristers,
- von The Law Society of England and Wales, vertreten durch T. Hickman, Barrister, und N. Turner,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, N. Otte Widgren und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon, L. Christie und V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von D. B...