Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Vorsteuerabzugs, Minderung der Bemessungsgrundlage, Unentgeltlichkeit des Entgelts, Herabsetzung einer Verbindlichkeit aufgrund rechtskräftigem Zwangsvergleich
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Verminderung der Verbindlichkeiten eines Schuldners aufgrund eines rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs eine Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
2. Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die Verminderung der Verbindlichkeiten eines Schuldners aufgrund eines rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs keinen Umsatz darstellt, bei dem keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde und eine Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs unterbleibt, wenn die Verminderung endgültig ist; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.
3. Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat bei der Ausübung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befugnis keine ausdrückliche Verpflichtung zur Berichtigung der Vorsteuerabzüge bei Umsätzen vorsehen muss, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 185 Abs. 1-2
Beteiligte
T-2, druzba za ustvarjanje, razvoj in trzenje elektronskih komunikacij in opreme, d.o.o |
Verfahrensgang
Vrhovno sodisce Republike Slovenije (Slowenien) (Beschluss vom 05.07.2016; ABl. EU 2016, Nr. C 335/42) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 184 und 185 ‐ Berichtigung des Vorsteuerabzugs ‐ Änderung der bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigten Faktoren ‐ Begriff ‚Umsätze, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde‘ ‐ Auswirkung eines rechtskräftigen Beschlusses über die Bestätigung des Zwangsvergleichs“
In der Rechtssache C-396/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien) mit Entscheidung vom 5. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2016, in dem Verfahren
T-2, druzba za ustvarjanje, razvoj in trzenje elektronskih komunikacij in opreme, d.o.o., in Insolvenz,
gegen
Republik Slowenien
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot (Berichterstatter), S. Rodin und E. Regan,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der T-2, druzba za ustvarjanje, razvoj in trzenje elektronskih komunikacij in opreme, d.o.o., in Insolvenz, Prozessbevollmächtigte: V. Bajuk, odvetnik, und J. Češnovar, odvetnica,
‐ der slowenischen Regierung, vertreten durch B. Jovin Hrastnik als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und M. Zebre als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Oktober 2017
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 184 bis 186 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der T-2, druza za ustvarjanje, razvoj in trzenje elektronskih komunikacij in opreme, d.o.o. (im Folgenden: T-2), einer insolventen Gesellschaft, und der Republika Slovenija (Republik Slowenien), vertreten durch das Ministrstvo za finance (Finanzministerium) über die Entrichtung von Mehrwertsteuer in Höhe von 7 362 080,27 Euro, die für die Zeit vom 1. bis 29. Februar 2012 gefordert wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
Rz. 4
Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“
Rz. 5
Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erla...