Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollkodex, Nacherhebung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, Buchmäßige Erfassung der Zollschuld, Frist der Mitteilung der Zollschuld gegenüber dem Schuldner
Leitsatz (amtlich)
1. Auf die nach dem 1. Januar 1994 begonnene Erhebung einer Zollschuld, die vor diesem Datum entstanden ist, sind nur die Verfahrensbestimmungen in den Artikeln 217 bis 232 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften anwendbar.
2. Artikel 221 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2913/92 verlangt, dass der Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben buchmäßig erfasst wird, bevor er dem Schuldner mitgeteilt wird.
3. Mit dem Ablauf der in Artikel 221 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2913/92 vorgesehenen Frist verjährt, vorbehaltlich der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahme, der Anspruch auf Entrichtung der Zollschuld, was der Verjährung der Schuld selbst und damit ihrem Erlöschen gleichkommt. Aufgrund dieser Regelung ist Artikel 221 Absatz 3 anders als Artikel 221 Absätze 1 und 2 als materielle Bestimmung anzusehen und ist daher nicht auf die Erhebung einer vor dem 1. Januar 1994 entstandenen Zollschuld anwendbar. Ist eine Zollschuld vor dem 1. Januar 1994 entstanden, so unterliegt sie nur den zu diesem Zeitpunkt geltenden Verjährungsregeln, selbst wenn das Verfahren zur Erhebung der Schuld nach dem 1. Januar 1994 eingeleitet wurde.
4. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, spezifische Verfahrensregeln hinsichtlich der Form zu erlassen, in der die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge dem Zollschuldner mitzuteilen sind, sofern auf diese Mitteilung innerstaatliche Verfahrensregeln von allgemeiner Geltung angewandt werden können, die eine angemessene Information des Zollschuldners gewährleisten und es diesem ermöglichen, seine Rechte in voller Kenntnis der Sachlage wahrzunehmen.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 221 Abs. 1, 3
Beteiligte
Verfahrensgang
Hof van Beroep te Antwerpen (Belgien) (Entscheidung vom 27.04.2004) |
Tatbestand
„Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Nacherhebung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben ‐ Verpflichtung, dem Zollschuldner den geschuldeten Abgabenbetrag unmittelbar nach der buchmäßigen Erfassung und vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Schuld mitzuteilen ‐ Begriff ‘geeignete Form’“
In der Rechtssache C-201/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Hof van Beroep Antwerpen (Belgien) mit Entscheidung vom 27. April 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Mai 2004, in dem Verfahren
Belgischer Staat
gegen
Molenbergnatie NV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie des Richters J. Makarczyk (Berichterstatter) und der Richterin R. Silva de Lapuerta,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Molenbergnatie NV, vertreten durch E. Gevers und J. Gevers, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch D. Haven als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Juni 2005
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) über die Erhebung des Zollschuldbetrags.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Belgischen Staat und der Molenbergnatie NV, Zollspediteurin (im Folgenden: Zollspediteurin), wegen Nacherhebung von Einfuhrabgaben und Antidumpingzöllen.
Rechtlicher Rahmen
3
Das Kapitel 3 des Titels VII des Zollkodex betrifft die Erhebung des Betrages der Zollschuld, die in Artikel 4 Absatz 9 dieses Kodex definiert ist als die Verpflichtung einer Person, die für eine bestimmte Ware im geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Einfuhrabgaben oder Ausfuhrabgaben zu entrichten.
4
Der Abschnitt 1 dieses Kapitels, der die Überschrift „Buchmäßige Erfassung des Zollschuldbetrags und Mitteilung an den Zollschuldner“ trägt, umfasst die Artikel 217 bis 221.
5
Artikel 217 Absatz 1 des Zollkodex sieht vor:
„Jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag ‐ nachstehend ‘Abgabenbetrag’ genannt ‐ muss unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den Zollbehörden berechnet und in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eingetragen werden (buchmäßige Erfassung).
Der vorstehende Unterabsatz gilt nicht
a) in Fällen, in denen ein vorläufiger Antidumping- oder Ausgleichszoll eingeführt worden ist;
b) in Fällen, in denen der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag höher als der Betrag ist, der auf der Grundlage einer verbindlichen Zolltarifauskunft festgelegt wurde;
c) in Fällen, in denen die ...