Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Zollunion. Verpflichtung der Mitgliedstaaten, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vorzusehen. Unzutreffende Angabe des Ursprungslands der eingeführten Waren. Nationale Regelung, die eine Geldbuße in Höhe von 50 % des Zollfehlbetrags vorsieht. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Normenkette
EUV 952/2013 Art. 42 Abs. 1
Beteiligte
J. P. Mali Kerékpárgyártó és Forgalmazó Kft |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Verfahrensgang
Fővárosi Törvényszék (Ungarn) (Beschluss vom 10.10.2022; ABl. EU 2023, Nr. C 45/5) |
Tenor
Art. 42 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die im Fall eines durch die Übermittlung unrichtiger Informationen in einer Zollanmeldung für in die Europäische Union eingeführte Waren entstandenen Zollfehlbetrags eine Geldbuße vorsieht, die grundsätzlich 50 % dieses Zollfehlbetrags entspricht und ungeachtet des guten Glaubens des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm getroffenen Vorkehrungen angewandt wird, nicht entgegensteht, sofern dieser Satz von 50 % deutlich niedriger ist als der Satz, der für den Fall der Bösgläubigkeit dieses Wirtschaftsteilnehmers vorgesehen ist, und im Übrigen in bestimmten in dieser Regelung genannten Fällen, u. a. dann, wenn der gutgläubige Wirtschaftsteilnehmer seine Zollanmeldung vor Abschluss der nachträglichen Kontrolle berichtigt, erheblich verringert wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2022, in dem Verfahren
J. P. Mali Kerékpárgyártó és Forgalmazó Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bottka und F. Moro als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 42 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der J. P. Mali Kerékpárgyártó és Forgalmazó Kft. (im Folgenden: J. P. Mali) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) (im Folgenden: Rechtsbehelfsdirektion) wegen einer Geldbuße, die gegen J. P. Mali wegen der unzutreffenden Angabe des Ursprungslands eingeführter Waren verhängt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 9 und 38 der Verordnung Nr. 952/2013 heißt es:
„(9) Grundlage der [Europäischen] Union ist eine Zollunion. Die bestehenden zollrechtlichen Vorschriften sollten im Interesse der Wirtschaftsbeteiligten wie der Zollbehörden der Union in einem Zollkodex zusammengefasst werden. Dieser Zollkodex, dem das Konzept eines Binnenmarkts zugrunde liegt, sollte die allgemeinen Vorschriften und Verfahren enthalten, welche die Anwendung der zolltariflichen und sonstigen gemeinsamen politischen Maßnahmen, die auf Unionsebene für den Warenverkehr zwischen der Union und den Ländern oder Gebieten außerhalb des Zollgebiets der Union eingeführt wurden, … gewährleisten.
…
(38) Es ist angebracht, dem guten Glauben des Beteiligten in den Fällen, in denen eine Zollschuld auf einer Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften beruht, Rechnung zu tragen und die Folgen fahrlässigen Verhaltens des Zollschuldners auf ein Mindestmaß abzumildern.”
Rz. 4
Art. 15 („Übermittlung von Informationen an die Zollbehörden”) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Auf Verlangen der Zollbehörden und innerhalb der gesetzten Frist übermitteln die unmittelbar oder mittelbar an der Erfüllung von Zollformalitäten oder an Zollkontrollen beteiligten Personen den Zollbehörden in geeigneter Form alle erforderlichen Unterlagen und Informationen und gewähren ihnen die erforderliche Unterstützung, damit diese Formalitäten oder Kontrollen abgewickelt werden können.
(2) Der Beteiligte ist mit Abgabe einer Zollanmeldung … für alle folgenden Umstände verantwortlich
- für die Richtigkeit und Vollständigk...