Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Vorsteuerberichtigung, Einrichtung des öffentlichen Rechts, Investition für hoheitliche Tätigkeit, spätere Verwendung einer hoheitlichen Investition für unternehmerische Zwecke
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 167, 168 und 184 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ein Recht auf Berichtigung der auf eine als Investitionsgut erworbene Immobilie entrichteten Vorsteuer in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Anspruch nimmt, in der beim Erwerb dieses Gegenstands dieser zum einen seiner Art nach sowohl für besteuerte als auch für nicht besteuerte Tätigkeiten verwendet werden konnte und zum anderen diese Einrichtung des öffentlichen Rechts ihre Absicht, diesen Gegenstand einer besteuerten Tätigkeit zuzuordnen, nicht ausdrücklich bekundet, aber auch nicht ausgeschlossen hatte, dass er zu einem solchen Zweck verwendet werde, sofern sich aus der Prüfung aller tatsächlichen Gegebenheiten, die vorzunehmen Sache des nationalen Gerichts ist, ergibt, dass die in Art. 168 der Richtlinie 2006/112 aufgestellte Voraussetzung, wonach der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Vornahme dieses Erwerbs in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger gehandelt haben muss, erfüllt ist.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 167-168, 184
Beteiligte
Szef Krajowej Administracji Skarbowej |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 22.12.2016; ABl. EU 2017, Nr. C 202/10) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 167, 168 und 184 ‐ Vorsteuerabzug ‐ Berichtigung ‐ Als Investitionsgut erworbene Immobilien ‐ Anfängliche Verwendung für eine nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Tätigkeit, dann auch Verwendung für eine steuerpflichtige Tätigkeit ‐ Einrichtung des öffentlichen Rechts ‐ Eigenschaft als Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des steuerpflichtigen Umsatzes“
In der Rechtssache C-140/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 22. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2017, in dem Verfahren
Szef Krajowej Administracji Skarbowej
gegen
Gmina Ryjewo
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ des Szef Krajowej Administracji Skarbowej, vertreten durch J. Kaute und B. Kołodziej als Bevollmächtigte,
‐ der Gmina Ryjewo, vertreten durch M. Gizicki, adwokat, und B. Rasz, doradca podatkowy,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und A. Kramarczyk-Szaładzińska als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart und Ł. Habiak als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. April 2018
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 167, 168 und 184 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) sowie des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Szef Krajowej Administracji Skarbowej (Chef der nationalen Steuerverwaltung, Polen) und der Gmina Ryjewo (Gemeinde Ryjewo, Polen, im Folgenden: Gemeinde) wegen einer Entscheidung des Minister Finansów (Finanzminister, Polen, im Folgenden: Minister), mit der die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für eine als Investitionsgut erworbene, zunächst für eine befreite und dann eine steuerpflichtige Tätigkeit verwendete Immobilie abgelehnt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Rz. 5
Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts g...