Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat gegründet worden ist und ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt. Anwendung des dem Schutz der Interessen Dritter dienenden Gesellschaftsrechts des Mitgliedstaats der Niederlassung
Normenkette
EG Art. 43, 46, 48
Beteiligte
Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam |
Tenor
1. Artikel 2 der Elften Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, steht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen vom 17. Dezember 1997 entgegen, die Zweigniederlassungen einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten auferlegt, die nicht in dieser Richtlinie vorgesehen sind.
2. Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen entgegen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-167/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Kantongerecht Amsterdam (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam
gegen
Inspire Art Ltd
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 43 EG, 46 EG und 48 EG
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, M. Wathelet (Berichterstatter), R. Schintgen und C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola, P. Jann und V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues und A. Rosas,
Generalanwalt: S. Alber,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam, vertreten durch C. J. J. C. van Nispen, advocaat,
- der Inspire Art Ltd, vertreten durch M. E. van Wissen und G. van der Wal, advocaten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch B. Muttelsee-Schön und A. Dittrich als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Brauglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Schmidt und C. van der Hauwaert als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam, vertreten durch R. Hermans und E. Pijnacker Hordijk, advocaten, der Inspire Art Ltd, vertreten durch G. van der Wal, der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. M. van Bakel als Bevollmächtigte, der deutschen Regierung, vertreten durch A. Dittrich, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Stratford, und der Kommission, vertreten durch C. Schmidt und H. van Lier als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 26. November 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2003
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Das Kantongerecht Amsterdam hat mit Beschluss vom 5. Februar 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 43 EG, 46 EG und 48 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der niederländischen Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam (Handels- und Industriekammer Amsterdam, im Folgenden: Handelskammer) und der Gesellschaft englischen Rechts Inspire Art Ltd (im Folgenden: Inspire Art) wegen der nach der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen (Gesetz über formal ausländische Gesellschaften) vom 17. Dezember 1997 (Staatsblad 1997, Nr. 697, im Folgenden: WFBV) bestehenden Verpflichtung der niederländischen Zweigniederlassung der Inspire Art...