Leitsatz
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil Elida Gibbs vom 24.10.1996, C–317/94, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I-5339, Rz. 28, 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) berechtigt, wenn
- er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,
- die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,
- der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und
- der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines "Abschlags" an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?
II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 73, Art. 90 Abs. 1 EG-RL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 20 EUGrdRCh, § 1 AMRabG, § 130a SGB V
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das im Streitjahr 2011 Arzneimittel herstellte und lieferte. Die Klägerin gewährte Abschläge nach § 1 AMRabG an Privatversicherer und sonstige Kostenträger und machte hierfür Entgeltminderungen geltend. Das Finanzamt folgte dem nicht. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das Finanzgericht der Klage statt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.9.2015, 6 K 1251/14, Haufe-Index 8633253, EFG 2015, 2243).
Entscheidung
Der BFH hat den EuGH durch Beschluss um Klärung der unionsrechtlichen Zweifelsfrage ersucht und das Verfahren bis zu einer Entscheidung durch den EuGH ausgesetzt. Die Rechtssache ist beim EuGH unter dem Az. C–462/16 anhängig.
Hinweis
1. Gewährt der Hersteller A eines Gegenstandes in einer Lieferkette A-B-C nicht dem eigenen Abnehmer B, sondern dem Folgeabnehmer C einen Preisnachlass, führt dies für seine Lieferung an B zu einer Minderung des Entgelts (EuGH, Urteile vom 24.10.1996, C–317/94, Elida Gibbs, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I‐5339, Rz. 28, 31; vom 16.1.2014, C–300/12, Ibero Tours, EU:C:2014:8, Rz. 29). Dies setzt eine Leistungskette voraus. Fehlt sie, führt der Preisnachlass zugunsten anderer Personen als dem eigenen Abnehmer nicht zu einer Entgeltminderung. So hat der EuGH die Entgeltminderung abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die ein Reiseveranstalter erbringt (EuGH-Urteil Ibero Tours, EU:C:2014:8, Rz. 33).
2. Gibt der Hersteller von Arzneimitteln diese an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab, werden die Arzneimittel an die gesetzlichen Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Der Hersteller muss den Apotheken oder – bei Einschaltung von Großhändlern – den Großhändlern diesen Abschlag erstatten. Die Finanzverwaltung behandelt dies für den Hersteller als Entgeltminderung (BMF, Schreiben vom 14.11.2012, IV D 2 – S 7200/08/10005, BStBl I 2012, 1170, unter I.1.).
3. Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit den privat Krankenversicherten ab. Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung (Privatversicherer) sind ebenso wie die beamtenrechtlichen Kostenträger nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstatten lediglich die den Versicherten entstandenen Kosten. Der Hersteller muss hier einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren, der an die Privatversicherer und Kostenträger zu zahlen ist (§ 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel – AMRabG). Die Finanzverwaltung sieht diesen Abschlag nicht als Entgeltminderung an (vgl. BMF, Schreiben vom 14.11.2012, a.a.O., unter I.2.).
Diese Sichtweise folgt dem Erfordernis der Leistungskette. So kann die bisherige Rechtsprechung des EuGH durchaus dahin gehend verstanden werden, dass Preisnachlässe, die ein Hersteller anderen Personen als dem eigenen Abnehmer gewährt, das Entgelt nur dann mindern, wenn eine Umsatzkette vom Hersteller zu dieser Person besteht. Danach kommt eine Entgeltminderung bei Zahlungen an Privatversicherer und andere Kostenträger nicht in Betracht, da diese außerhalb der Leistungskette stehen, die beim Privatversicherten endet.
4. Fraglich ist, ob diese Differenzierung auch unter Gleichheitsgesichtspunkten Bestand haben kann.
So könnte ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EUGrdRCh) vorliegen, wenn...