Leitsatz
Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-RL dahingehend auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten ermächtigt, für die Aufteilung der Vorsteuern aus der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes vorrangig einen anderen Aufteilungsmaßstab als den Umsatzschlüssel vorzuschreiben?
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 und Abs. 4 UStG 1999 i.d.F. des StÄndG 2003, Art. 2 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1, 2 und 5, Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin errichtete ein Wohn- und Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung 2004 teils steuerfrei, teils steuerpflichtig vermietete. Die Klägerin begehrte im Streitjahr 2004 erfolglos die Aufteilung der das Gebäude betreffenden Vorsteuerbeträge nach dem Umsatzschlüssel. Die Klage hatte Erfolg. Das FG meinte, die Klägerin könne sich auf das Unionsrecht berufen (Niedersächsisches FG, Urteil vom 23.04.2009, 16 K 271/06, Haufe-Index 2187114, EFG 2009, 1790).
Entscheidung
Der BFH hat die im Leitsatz wiedergegebene Frage dem EuGH vorgelegt.
Hinweis
Die Entscheidung hat große Bedeutung für die Errichtung von Wohn- und Geschäftshäusern. Sie betrifft die Höhe des Vorsteuerabzugs für Eingangsleistungen zur Herstellung eines Gebäudes. Wird ein Gebäude für gemischte Vermietungsumsätze – teils steuerpflichtig, teils steuerfrei – genutzt, ist ebenso wie bei der Errichtung eines Gebäudes für Geschäfts- und für Wohnzwecke eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge erforderlich, weil der Vorsteuerabzug nur für die steuerpflichtige Verwendung eröffnet ist. Als "sachgerechter" (§ 15 Abs. 4 UStG) Aufteilungsmaßstab kommt das Verhältnis der für den jeweiligen Bereich genutzten Flächen und nach der Rechtsprechung zu § 15 Abs. 4 UStG i.d.F. vor dem StÄndG 2003 aber auch ein – häufig für den Steuerpflichtigen günstigerer – Aufteilungsmaßstab nach dem Verhältnis der Umsätze in Betracht. Im Rahmen des StÄndG ordnete der Gesetzgeber ab 01.01.2004 an, dass eine Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel nur noch dann zulässig ist, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist (§ 15 Abs. 4 S. 3 UStG). Da bei Gebäuden eine Aufteilung nach dem Flächenschlüssel stets eine wirtschaftliche Zurechnung ermöglicht, schließt die neue Regelung die Anwendung des Umsatzschlüssels für Gebäude praktisch aus.
Das Unionsrecht – sowohl die 6. EG-RL als auch die MwStSystRl – sieht als Regelaufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel vor, eröffnet aber den Mitgliedstaaten Spielräume; diese können u.a. "(1) dem Steuerpflichtigen gestatten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden, wenn für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen geführt werden; (2) den Steuerpflichtigen verpflichten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden und für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen zu führen; (3) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen; (4) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihm vorschreiben, den Vorsteuerabzug nach der in Unterabs. 1 vorgesehenen Regel bei allen Gegenständen und Dienstleistungen vorzunehmen, die für die dort genannten Umsätze verwendet wurden".
Der BFH hat Zweifel, ob die Einschränkung durch das Steueränderungsgesetz 2003 mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist. Ist für den Steuerpflichtigen der Umsatzschlüssel günstiger, ist Einspruch geboten und der Fall bis zur abschließenden Entscheidung des BFH in dieser Sache offenzuhalten.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 22.07.2010 – V R 19/09