Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Das Niedersächsische FG entschied, dass eine im Anschluss an ein Medizinstudium absolvierte Facharztweiterbildung eine Zweitausbildung ist. Da die Berufsausübung während der Weiterbildung bereits im Vordergrund steht, kann nach Gerichtsmeinung keine einheitliche erstmalige Berufsausbildung angenommen werden, sodass ein Kindergeldanspruch ausscheidet. Jetzt muss der BFH entscheiden.
Sachverhalt
Die volljährige Tochter hatte bis Dezember 2020 ihr Medizinstudium absolviert und im Januar 2021 eine Facharztweiterbildung (Weiterbildung zur Kinderärztin) mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden angenommen; die Weiterbildung sollte mindestens 60 Monate andauern.
Die Familienkasse erkannte der Mutter den Kindergeldanspruch für die Zeit der Facharztweiterbildung ab und vertrat den Standpunkt, dass die Tochter in dieser Zeit keine Berufsausbildung im kindergeldrechtlichen Sinne (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG) mehr absolviert hatte. Nach Ansicht der Familienkasse stand die Erwerbstätigkeit im Vordergrund.
Entscheidung
Das FG entschied, dass die Familienkasse den Kindergeldanspruch zu Recht abgelehnt hatte.
Nach dem Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann ein Kind nur steuerlich anerkannt werden, wenn es keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Sätze 2, 3 EStG). Diese Erwerbstätigkeitsprüfung muss noch nicht vorgenommen werden, wenn mehrere Ausbildungsabschnitte zu einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung "verklammert" werden können. Eine solche Ausbildungseinheit konnte das Gericht im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennen. Das FG verwies insoweit auf die neuere Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Urteil v. 11.12.2018, III R 26/18), nach der es an einer einheitlichen Erstausbildung fehlen kann, wenn ein Kind nach Erlangung seines ersten Abschlusses (in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführte Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund tritt. Ein solcher Fall war vorliegend gegeben.
Zwar hatte ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen Medizinstudium und Facharztweiterbildung bestanden, während der Weiterbildung war aber die Erwerbstätigkeit in den Vordergrund gerückt. Hierfür sprach, dass die Weiterbildung von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Wochenstunden begleitet war und eine mindestens 60-monatige Bindung an einen Arbeitgeber bestand. Während der Weiterbildung hatte die Tochter zudem bereits ihre ärztliche Qualifikation angewandt. Aus der Weiterbildungsordnung ergab sich für das FG zudem, dass die ärztliche Tätigkeit weit stärker im Vordergrund stand als die Ausbildung.
Hinweis
Das FG hat die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, da das FG Thüringen, Urteil v. 27.3.2018, 2 K 308/17, zu einem anderen Ergebnis gekommen war.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil v. 17.11.2021, 9 K 114/21