Leitsatz
1. Bei der Prüfung, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. überschritten ist, sind Fahrtkosten eines Kindes, die ihm aus Anlass eines nebenberuflich ausgeübten Studiums entstehen, nicht mit der Entfernungspauschale zu berücksichtigen, sondern in tatsächlicher Höhe von den Einnahmen aus nicht selbstständiger Arbeit abzuziehen.
2. Eine vom Kind als Arbeitnehmer aufgesuchte arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte dar.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Sohn der Klägerin arbeitete nach Abschluss seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten im erlernten Beruf. Im September 2008 begann er ein berufsbegleitendes Studium im Steuerrecht. Seitdem arbeitete er 28 Wochenstunden als Angestellter in einer Steuerberaterkanzlei und besuchte an zwei bis drei Tagen je Woche (abends und an Samstagen) die Fachhochschule.
Die Familienkasse gewährte für Februar bis Dezember 2009 kein Kindergeld, weil der Grenzbetrag überschritten sei. Bei ihrer Berechnung berücksichtigte sie die Fahrten zur Fachhochschule lediglich mit der Entfernungspauschale. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Köln, Urteil vom 14.7.2011, 10 K 1009/10, Haufe-Index 2740115, EFG 2011, 1904).
Entscheidung
Die Revision hatte Erfolg: Der Klägerin steht Kindergeld zu, da die Einkünfte des Sohnes aufgrund der ohne Beschränkung auf die Entfernungspauschale abziehbaren Fahrtkosten den Grenzbetrag nicht erreichten.
Hinweis
1. Ausbildungskosten werden im Rahmen der 2011 ausgelaufenen Grenzbetragsberechnung bei der Einkünfteermittlung abgezogen, wenn es sich – wie hier – um eine berufsbezogene Bildungsmaßnahme oder eine Zweitausbildung handelt. Die Kosten der Lebensführung werden dabei von den Erwerbsaufwendungen nach den für Ausbildungsdienstverhältnisse geltenden Kriterien abgegrenzt.
Wenn die über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen nicht zu den Erwerbsaufwendungen gehören, werden sie als besondere Ausbildungskosten berücksichtigt (§ 32 Abs. 4 Satz 5 EStG a.F.).
2. Zu den als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen einer Bildungsmaßnahme gehören auch die durch sie veranlassten Fahrtkosten. Diese sind in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, wenn nicht die Beschränkung auf die sog. Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG greift, die indessen nur für die Aufwendungen "für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte" gilt. Den Begriff der Arbeitsstätte legt der III. Senat eng aus, er folgt damit den BFH-Urteilen vom 9.2.2012 (VI R 44/10, BFHE 236, 431, BFH/PR 2012, 178 und VI R 42/11, BFHE 236, 439, BFH/PR 2012, 179), wonach weder eine von einem Vollzeitstudenten aufgesuchte Hochschule noch die vom Arbeitnehmer besuchte arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung eine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.
3. Zur Erinnerung: Bereits mit Urteil vom 22.9.2011 (III R 38/08, BStBl II 2012, 338, BFH/PR 2012, 41) hatte der BFH entschieden, dass der Abzug der Kosten für ein in der Semestergebühr enthaltenes Semesterticket nicht wegen einer Abgeltungswirkung gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen ist, wenn die Entrichtung der Semestergebühr für den Studentenstatus erforderlich ist.
4. Nach dem seit 2012 geltenden Recht ist die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes unerheblich. Ausschlussmerkmal ist nunmehr die Erwerbstätigkeit nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung, Ausbildungsdienstverhältnisse sind jedoch unschädlich. Wo die Grenzen des Ausbildungsdienstverhältnisses i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG liegen, ist bislang noch nicht entschieden (z.B. bei der klinischen Facharztausbildung).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.11.2012 – III R 64/11