Leitsatz
1. Durch Überlieferungen im Zwölfmonatszeitraum 2014/2015 entstandene Milchabgabe (sog. Überschussabgabe) durfte auch nach dessen Ablauf und dem damit einhergehenden Ende des Milchquotensystems festgesetzt werden.
2. Sog. interinstitutionelle Vereinbarungen zwischen den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen der Union sind keine Rechtsvorschriften und begründen keine Rechte Einzelner.
3. Die Erhebung der im Zwölfmonatszeitraum 2014/2015 entstandenen Überschussabgabe verstößt weder gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Normenkette
Art. 79 EGV 1234/2007, Art. 230 EGU 1308/2013, EGV 1788/2003, EGV 595/2004, § 167 Abs. 1, § 168 AO, § 40 Abs. 3, § 40 Abs. 4 MilchQuotV
Sachverhalt
Der Kläger ist Milcherzeuger. Im Zwölfmonatszeitraum 2014/2015 überlieferte er seine verfügbare Referenzmenge. Die danach auf den Kläger entfallende Überschussabgabe übermittelte der Käufer (Molkerei) mit Abgabeanmeldung vom 30.6.2015 dem HZA.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger geltend macht, für den Zwölfmonatszeitraum 2014/2015 fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Überschussabgabe, weil die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22.10.2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Amtsblatt der Europäischen Union – ABlEU – Nr. L 299/1) mit Ablauf dieses Zwölfmonatszeitraums am 31.3.2015 aufgehoben worden sei, wies das FG ab. Die Rechtsgrundlagen der Abgabeanmeldung durch die Molkerei seien Art. 79 Unterabs. 2 VO Nr. 1234/2007 und § 40 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der EU-Milchquotenregelung (MilchQuotV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.5.2011 (BGBl I 2011, 775). Art. 230 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse … (ABlEU Nr. L 347/671) habe die VO Nr. 1234/2007 zwar aufgehoben, jedoch habe Art. 230 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a die Fortgeltung der Vorschriften der VO Nr. 1234/2007 über das System der Milchproduktionsregulierung bis zum 31.3.2015 angeordnet. Die Voraussetzungen des Art. 79 VO Nr. 1234/2007 über die Entstehung der Abgabenschuld seien im Streitfall mit Ablauf des 31.3.2015 erfüllt gewesen. Die unionsrechtlich unter der Geltung der VO Nr. 1234/2007 entstandene Überschussabgabe sei nach den nationalen Vorschriften der MilchQuotV sowie der Abgabenordnung festzusetzen gewesen (FG Hamburg, Urteil vom 30.9.2016, 4 K 13/16, Haufe-Index 9871204, (ZfZ 2017, 16).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision des Klägers (durch Beschluss gemäß § 126a FGO) zurückgewiesen.
Hinweis
Die ab dem Milchwirtschaftsjahr 1984/1985 eingeführten gemeinschaftsrechtlichen – später unionsrechtlichen – Milchabgabevorschriften, die Milcherzeugern die Lieferung von Milch an Molkereien sowie die Direktvermarktung von Milch nur innerhalb bestimmter, jedem Erzeuger zugeteilter Mengen (sog. Referenzmengen) erlaubten und die Überschreitung der Referenzmenge mit einer Abgabe belegten, sind mit dem Ende des Milchwirtschaftsjahres 2014/2015, d.h. mit Ablauf des 31.3.2015, aufgehoben worden.
In Deutschland (und – soweit ersichtlich – nur in Deutschland) hat eine große Anzahl Milcherzeuger, gegen die wegen Überschreitung der Referenzmenge im Milchwirtschaftsjahr 2014/2015 Milchabgabe festgesetzt worden ist, Rechtsmittel gegen den Abgabenbescheid mit der Begründung eingelegt, es gebe ab dem 1.4.2015 keine Rechtsgrundlage mehr für Festsetzung der Milchabgabe, da die Milchabgabevorschriften der betreffenden Ratsverordnung aufgehoben worden seien.
Das FG Hamburg hat aus den anhängigen Klageverfahren einige ausgewählt und hat die Klagen der Milcherzeuger abgewiesen. Der BFH hat nunmehr die Revisionen gegen diese Urteile zurückgewiesen. Der Auffassung der Kläger, mit der Aufhebung der unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften bestehe ab dem 1.4.2015 keine rechtliche Möglichkeit mehr, Milchabgabe für das letzte Milchwirtschaftsjahr festzusetzen, ist der BFH nicht gefolgt.
Der BFH hat darauf hingewiesen, dass bei unionsrechtlichen Vorschriften – und gerade bei Vorschriften, die die Milchmarktordnung betreffen – zwischen ihrem Inkrafttreten und ihrer Gültigkeit zu differenzieren sei. Die Milchabgabe-Vorschriften seien immer nur temporär, d.h. bezogen auf ein bestimmtes Milchwirtschaftsjahr, gültig gewesen. Die Festsetzung der Milchabgabe wegen Überschreitung der Referenzmenge in einem bestimmten Milchwirtschaftsjahr habe sich daher immer nach den unionsrechtlichen Milchabgabe-Vorschriften bestimmt, die in dem betreffenden Milchwirtschaftsjahr gültig und anwendbar gewesen seien. Da die entsprechenden Abgabevorschriften der Ratsverordnung im Milchwirtschaftsjahr 2014/2015 gegolten hätten, könne die in diesem Milchwirtschaftsjahr durch Überlieferungen entstandene Abga...