Leitsatz
Es verstößt weder gegen den Grundsatz der Effektivität noch der Gleichwertigkeit des Gemeinschaftsrechts, wenn die nationale Rechtsordnung eine Änderung im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehender Steuerbescheide dann versagt, wenn nach den nationalen Vorschriften Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Der Antrag auf Bemessung der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten nach den Grundsätzen der Rechtssache "Glawe" ist im Falle bestandskräftig festgestellter Umsatzsteuerbescheide unzulässig.
Sachverhalt
Der Kläger erzielte Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten. Alle Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre sind endgültig in Bestandskraft erwachsen. Mit Urteil vom 5.5.1994 entschied der EuGH, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten nach dem Kasseninhalt zu ermitteln sind (EuGH, Urteil v. 5.5.1994, Rs. C-38/93 "Glawe", BStBl 1994 II S. 548). Der Kläger legte gegen die bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre Einspruch ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist, um seine Umsätze nach den kurz zuvor ergangenen Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH bemessen zu lassen. Das Finanzamt lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf den Einspruch als unzulässig. Hiergegen erhob der Steuerpflichtige Klage.
Entscheidung
Die zulässige Klage war unbegründet, weil die Einsprüche gegen die bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre nach Ansicht des erkennenden Senats verfristet waren. Für die Erstattung zu unrecht erhobener nationaler Abgaben gibt es keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen. Die Bestimmungen der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz des Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung der aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollten, ist Sache der nationalen Rechtsordnung. Diese Bedingungen dürften nicht ungünstiger sein als für entsprechende nur das nationale Recht betreffende Klagen. Dieser Grundsatz der Gleichwertigkeit wird ergänzt durch den Grundsatz der Effektivität. Danach dürfen die genannten Bedingungen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen. Es verstößt nicht gegen diese Grundsätze, wenn die nationalen Regelungen - wie im Streitfall - eine Änderung von Steuerbescheiden versagen, die im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehen, wenn nach nationalem Recht Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Das Änderungsverbot der Abgabenordnung gilt gleichermaßen, wenn sich nachträglich eine bessere Rechtserkenntnis durch eine Entscheidung des obersten nationalen Gerichts oder des EuGH ergibt. Die Bedingungen für Anträge, bei denen die begehrte Erstattung von Steuern auf einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gestützt wird, sind nicht ungünstiger wie für auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützter Anträge.
Hinweis
Die für die Betreiber von Geldspielautomaten begünstigende Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil v. 5.5.1994, Rs. C-38/93 "Glawe", BStBl 1994 II S. 548; EuGH, Urteil v. 17.2.2005, Rs. C-453/02 "Linneweber" DStR 2005 S. 371) hat nur für noch nicht festsetzungsverjährte und noch nicht bestandskräftige Umsatzsteuerfestsetzungen Bedeutung. Wer also rechtzeitig Einspruch einlegte und so die Festsetzungen nicht bestandskräftig werden ließ, ist auf der sicheren Seite. Anzumerken ist, dass die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtsache "Linneweber" vom nationalen Gesetzgeber wieder eingefangen werden soll. Mit dem Zwanzigsten Gesetz zur Änderung des UStG soll die umsatzsteuerliche Neutralität durch Einbeziehung der bislang umsatzsteuerbefreiten Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken zur Umsatzsteuer wieder hergestellt werden. Die bisherige Umsatzsteuerbefreiung soll entfallen, so dass gemeinschaftsrechtskonform dann alle Geldspielumsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten wieder der Umsatzsteuer unterliegen.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2005, 9 K 198/02