Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Finanzgerichts bei Klage einer Behörde in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs
Leitsatz (redaktionell)
1. In Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 des EStG ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 38 Abs. 2a Satz 1 FGO). Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat (§ 38 Abs. 2a Satz 2 FGO).
2. Ist der Kläger eine Behörde, kommt § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO nicht zur Anwendung mit der Folge, dass in einem solchen Fall stets gemäß § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO der Sitz der beklagten Behörde für die Bestimmung des zuständigen Finanzgerichts maßgeblich ist.
Normenkette
FGO § 38 Abs. 2a; EStG § 62 ff.
Tenor
Das Finanzgericht Baden-Württemberg ist örtlich unzuständig.
Der Rechtsstreit wird an das Finanzgericht […] verwiesen.
Tatbestand
I.
Der Kläger mit Sitz in A/Baden-Württemberg leistete für das vollstationär untergebrachte Kind K (geb. xx.xx. 1988) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und beantragte die Abzweigung des Kindergeldes.
Mit Bescheid vom 27. August 2018 (KG-Akte Bl. 52 ff.) setzte die Beklagte, die Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse Rheinland-Pfalz (FamK), gegenüber der Kindsmutter M, wohnhaft im […]/Rheinland-Pfalz, Kindergeld für den Zeitraum von Oktober 2016 bis Juni 2017 fest, lehnte jedoch die Auszahlung unter Verweis auf § 66 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung vom 23. Juni 2017 ab. Den Bescheid gab die FamK auch dem Kläger bekannt.
Nach hiergegen gerichtetem erfolglosem Einspruchsverfahren (vgl. Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2018, KG-Akte Bl. 75 ff.) erhob der Kläger Klage bei dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg.
Die Beteiligten wurden zur Frage der örtlichen Zuständigkeit angehört.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das FG Baden-Württemberg ist für den Rechtsstreit örtlich nicht zuständig.
Örtlich zuständig ist das Finanzgericht, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat (§ 38 Abs. 1 FGO). In Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 des EStG ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 38 Abs. 2a Satz 1 FGO). Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat (§ 38 Abs. 2a Satz 2 FGO).
a) Vorliegend sind die Voraussetzungen von § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht erfüllt. Der Kläger hat als Behörde weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des FG Baden-Württemberg. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem fehlenden Bezug auf den Sitz (oder die Geschäftsleitung) des Klägers um eine planwidrige Regelungslücke handelt, vermag der Senat nicht zu erkennen. Eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO scheidet daher aus.
aa) In den Gesetzesmaterialien ist erkennbar, dass der Gesetzgeber bei Einfügung des Abs. 2a primär den rechtssuchenden Bürger (natürliche Person) und dessen Belange im Blick hatte, nicht jedoch Fälle, in denen eine Behörde/juristische Person Klägerin ist.
§ 38 Abs. 2a FGO wurde durch das Gesetz zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 20. April 2013 (BGBl I 2013, 829) in den § 38 FGO eingefügt. Die Änderung der FGO war aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 27. Februar 2013 (BT-Drs. 17/12535) in den Gesetzesentwurf aufgenommen und vom Bundestag am 28. Februar 2013 in zweiter und dritter Beratung (ohne Aussprache) angenommen worden. Mit der Spezialregelung der örtlichen Zuständigkeit reagierte der Gesetzgeber auf die Umstrukturierung der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit, durch die die Zahl der Familienkassen erheblich reduziert wurde. Der Rechtsausschuss führte im Bericht zur Beschlussempfehlung aus, die Änderung der örtlichen Zuständigkeit in Kindergeldsachen diene der Bürgerfreundlichkeit. Indem künftig auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und nicht wie bisher auf den Sitz der Beklagten, also der Familienkassen, abzustellen sei, werde zum einen Belastungsverschiebungen bei den Finanzgerichten entgegengetreten, die auch zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer für die rechtssuchenden Bürger führen könnten. Zum anderen würden lange Anfahrtswege der rechtssuchenden Bürger vermieden, was im Falle des Obsiegens des Klägers auch die Kosten der Beklagten reduziere (BT-Drs. 17/12535 S. 4). Primäres Ziel der Neuregelung war daher, den gerichtlichen Rechtsschutz (weiterhin) bürgernah und effe...