rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenbare Unrichtigkeit bei der Erstellung einer Einkommensteuererklärung. Klageerweiterung. Rücknahme des Antrags auf Günstigerprüfung
Leitsatz (redaktionell)
1. Betrifft ein Fehler bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung in der Anlage KAP allein einen mechanischen Rechenvorgang, handelt es sich um einen mechanischen Fehler i.S.d. § 129 AO.
2. Dieser kann auch zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden kann, wenn das FA den Fehler bei der Einkommensteuerfestsetzung übernommen hat.
3. Fehler, die auf einem falschen Verständnis eines amtlichen Steuererklärungsformulars beruhen, sind keine Fehler bei der Auslegung einer Rechtsnorm, so dass der Anwendungsbereich des § 129 AO eröffnet ist.
4. Verschuldenserwägungen schließen die Berichtigung eines Steuerbescheids nach § 129 S. 1 AO nicht aus.
5. Eine betragsmäßige Erweiterung des Klagebegehrens ist keine Klageänderung i. S. d. § 67 FGO, sondern eine zulässige Klageerweiterung ohne Änderung des Klagegegenstands.
6. Eine Rücknahme des Antrags auf Gu¨nstigerpru¨fung nach § 32d Abs. 6 EStG ist bis zum Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteueränderungsbescheids möglich.
7. Zu den im finanzgerichtlichen Verfahren verspätet vorgetragenen Tatsachen i. S. v. § 137 S. 1 FGO, die zur Kostentragung führen, gehören auch Anträge oder Erklärungen, die fu¨r die Besteuerung von Bedeutung sind.
Normenkette
AO § 129; EStG § 32d Abs. 6; FGO §§ 67, 137 S. 1, § 155; ZPO § 264 Nr. 2
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids 2011 vom 4. August 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. August 2015 wird die Einkommensteuer auf 62.834 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid nach § 129 der Abgabenordnung (AO) berichtigt werden kann.
Der Kläger und die Klägerin waren im Veranlagungszeitraum 2011 (Streitjahr) verheiratet und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Für das Streitjahr reichten die Kläger am 31. Oktober 2012 eine unter Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten erstellte Einkommensteuererklärung beim Beklagten (dem Finanzamt –FA–) ein. Bei dem Kläger fiel ein Verlust laut einheitlich und gesonderter Feststellung aus einer atypisch stillen Beteiligung in Höhe von 173.152 EUR an. Zudem erzielte er aus mehreren Objekten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Kläger und Klägerin bezogen außerdem Einkünfte aus Kapitalvermögen.
In der für den Kläger mit der Steuererklärung eingereichten Anlage KAP ist in Zeile 7 linke Spalte Kennzahl 10 „Beträge lt. Steuerbescheinigung(en)” ein Betrag in Höhe von 222.763 EUR eingetragen, in der rechten Spalte Kennzahl 20 „korrigierte Beträge (Erläuterungen auf besonderem Blatt)” ist keine Eintragung. Die Günstigerprüfung wurde nicht beantragt (Einkommensteuerakten Bl. 184). Zur Erläuterung war der Anlage KAP eine Anlage in Form einer Exceltabelle (im Folgenden: Exceltabelle) beigefügt, in der unter Ziff. 1. „Kapitalerträge, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben” Buchst. d) „übrige Kapitalerträge” in der Spalte „Einnahmen” die bei den jeweiligen Kreditinstituten angefallenen Kapitalerträge aufgelistet sind. Die Summe der Einnahmen (222.762,79 EUR) wurde in die erste Zeile „Übertrag nach Anlage KAP” übertragen. In der Spalte „korrigierte Beträge” der Exceltabelle ist jeweils –auch in den Zeilen „Summe Kapitalerträge” und „Übertrag nach Anlage KAP”– der Betrag 0,00 EURausgewiesen (Einkommensteuerakten Bl. 185).
In der für die Klägerin erstellten Anlage KAP ist in Zeile 7 Kennzahl 10 ein Betrag in Höhe von 90 EUR eingetragen, unter Kennzahl 20 erfolgte keine Eintragung. Für die Klägerin wurde die Günstigerprüfung beantragt (Einkommensteuerakten Bl. 187). In der beigefügten Exceltabelle, die im Aufbau der für den Kläger beigefügten Exceltabelle entspricht, ist unter Ziff. 1. Buchst. d) der Betrag von 90,83 EUR aufgeführt. In der Spalte „korrigierte Beträge” ist 0,00 EUR angegeben. In den Zeeil n „Summe der Kapitalerträge” und „Übertrag” findet sich hingegen auch in der Spalte „korrigierte Beträge” der in der Spalte „Einnahmen” ausgewiesene Betrag (Einkommensteuerakten Bl. 188).
Nachdem der Kläger eine weitere Steuerbescheinigung übersandt hatte, reichte der Prozessbevollmächtigte am 30. November 2012 per Fax für den Kläger eine geänderte Anlage KAP beim FA ein (Einkommensteuerakten Bl. 208 ff.; im Folgenden: nachgereichte Anlage KAP). Dieser waren eine um die bei der Bank I angefallenen Kapitalerträge ergänzte Exceltabelle (Einkommensteuerakten Bl. 210), die Steuerbescheinigung der Bank I (entsprechend dem Muster I des BMF-Schreibens vom 18. Dezember 2009 IV C 1 – S 2401/08/10001 – 2009/0860280, BStBl I 2010, 79) und eine dem amtlichen Vordruck der Anlage KAP nachempfundene „Ausfüllhilfe” der Bank I mit Erläuterungen zu den in die Anlage KAP aufzunehmenden Beträgen (Einkommensteuerakten Bl. 212 ff.) beigefügt. Auf der Steuerbe...